Entscheidungen zum Thema Hilfsmittel

Zusammenfassungen einiger Urteile und Entscheidungen, die für behinderte Menschen interessant sind

zum Thema Hilfsmittel

 


05.10.2011
SG Detmold, Az.: S 5 KR 97/08
Festbeträge für Hilfsmittel dürfen nicht zur Leistungsbegrenzung führen

Das Sozialgericht in Detmold entschied, dass die Krankenkasse in begründeten Fällen auch Hilfsmittel finanzieren müssen, deren Kosten den für diese Hilfsmittelart festgesetzten Festbetrag übersteigt.

In dem Fall, der dem Urteil zu Grunde lag, ging es um einen Mann, der auf dem einen Ohr taub und auf dem anderen Ohr extrem schwerhörig ist. Mit den vom Akustiker angebotenen eigenanteilsfreien Hörgeräten ist laut seiner Aussage kein gutes Sprachverstehen in geräuschvoller Umgebung möglich.

Der Richter entschied, dass der behinderte Mann Anspruch auf ein Hörgerät hat, dass unter Berücksichtigung des Standes der Medizintechnik den Hörverlust so weit wie möglich ausgleicht. Dazu muss die Krankenkasse ihrem Versicherten mindestens zwei eigenanteilsfreie Angebote zum angemessenen Ausgleich des Hörverlustes bei allen Schwerhörigkeitsgraden machen. Qualität und Wirksamkeit der Hörhilfe muss dem allgemeinen Stand der medizinischen Kenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen.

(Quelle: Rechtsdienst der Lebenshilfe 3/2012)

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18.05.2011
BSG inKassel, Az.: B 3 KR 7/10 R
Rollstuhl-Bike als Hilfsmittel der Gesetzlichen Krankenversicherung / Definition des „umliegenden Nahbereichs“

Auch bei erwachsenen Versicherten kann die Versorgung mit einem Rollstuhl-Bike in die Leistungspflicht der Krankenkassen fallen, wenn das Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung oder zum Behinderungsausgleich (nämlich der Erschließung des Nahbereichs unter zumutbaren Bedingungen) erforderlich ist.

Im konkreten Fall geht es um eine Frau mit spina bifida und einer Überlastung des Schulter-Ellenbogenbereichs durch die Verwendung ihres handbetriebenen Rollstuhls. Die Krankenkasse lehnte die Übernahme der Kosten für das Rollstuhl-Bike ab. Sie argumentierte, das Hilfsmittel sei nicht erforderlich.

Während das Sozialgericht die Krankenkasse zur Finanzierung des Rollstuhl-Bike verurteilte, war das Landessozialgericht wiederum der Auffassung, das Hilfsmittel sei nicht erforderlich: Der vorhandene Rollstuhl reiche aus, um den Nahbereich zu erschließen, den das Gericht auf Grundlage der rentenversicherungsrechtlichen Wegefähigkeit als eine Wegstrecke von bis zu 500 Meter definierte. Dies sei zur Befriedigung des Grundbedürfnisses auf Mobilität ausreichend, für dessen Befriedigung die Gesetzliche Krankenversicherung aufkommen muss. Außerdem sei ein Rollstuhl-Bike für Erwachsene kein Hilfsmittel.

Die Frau ging in Revision und argumentierte, das Rollstuhl-Bike sei im vorliegenden Einzelfall sowohl zur Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung als auch zum Ausgleich einer Behinderung erforderlich, weil durch die Nutzung des Rollstuhl-Bikes zum einen das Fortschreiten der degenerativen Veränderungen im Bereich der oberen Extremitäten verhindert werde und zum anderen die Erschließung des Nahbereichs und somit die Verwirklichung eines allgemeinen Grundbedürfnisses sichergestellt werde. Der Nahbereich könne mit dem vorhandenen Aktivrollstuhl nur unter Schmerzen und übermäßigen Anstrengungen erschlossen werden.

Da die behinderte Frau mittlerweile die Krankenkasse gewechselt hatte, entschied das Bundessozialgericht den Fall generell ohne konkret jemanden zur Leistung zu verpflichten.

Das Bundessozialgericht stellte zum einen die Hilfsmitteleigenschaft eines Rollstuhl-Bikes fest: Sie ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen – nämlich, ob der Erfolg einer Krankenbehandlung durch das Hilfsmittel gesichert oder gefördert wird (dies konnte im konkreten Fall auf Grund der vorliegenden Unterlagen nicht eingeschätzt werden) oder dem Ausgleich einer Behinderung dient -, und nicht vom Alter des Nutzers bzw. der Nutzerin abhängig.

In diesem Zusammenhang machten die obersten Richter deutlich, dass die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden kann, dass der bisher erreichte Versorgungsstandard ausreichend sei, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist.

Zum anderen präzisierten die Richter das Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums, dessen Befriedigung die Gesetzliche Krankenversicherung mit ihrer Leistungspflicht sicherstellen muss. Hierbei geht es um die Erschließung der Wohnung und des „umliegende Nahbereich“ der Wohnung. Dieser orientiert sich an den Bewegungsradius, den ein Nichtbehinderter üblicherweise zu Fuß zurücklegt.

Zwar ist die Größe des „umliegenden Nahbereichs“ unabhängig vom jeweiligen Wohnort, trotzdem kommt es bei der Bewilligung eines Hilfsmittels zur Fortbewegung auf die individuelle Situation an: Es muss geeignet und erforderlich sein, um Einrichtungen zu erreichen, die der Grundversorgung dienen (Lebensmittel, Post, Bank, Hausarzt, …).

Im Unterschied zu der so genannten „rentenversicherungsrechtlichen Wegefähigkeit“ und den Kriterien, die zu der Zuerkennung des Merkzeichens „G“ im Schwerbehindertenausweis führen, kann der Bereich, für dessen Erschließung die Gesetzliche Krankenversicherung mit der Gewährung eines Hilfmittels zuständig ist, nicht pauschal beziffert werden.

Wenn das Rollstuhl-Bike wie im vorliegenden Fall zur Erschließung des Nahbereichs ohne Schmerzen bzw. ohne fremde Hilfe notwendig ist, oder wenn zur Wahrnehmung eines anderen Grundbedürfnissees eine größere Mobilität notwendig ist, muss ein solches Hilfsmittel finanziert werden, auch wenn darüber hinaus auch Arbeits- und Freizeitwege zurückgelegt werden können.

Abschließend stellen die Richter fest, dass ein Rollstuhl-Bike im Vergleich mit einem restkraftunterstützenden Greifreifenantrieb als alternatives Hilfsmittel kostengünstiger ist.

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10.3.2011
BSG in Kassel, Az.: B 3 KR 9/10 R
Übernahme eines Hilfsmittels durch die Gesetzliche Krankenversicherung zur Ermöglichung des selbstständigen Wohnens

Das selbstständige Wohnen ist ein allgemeines Grundbedürfnis, für dessen Befriedigung ein Hilfsmittel von der Gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren ist.

Im konkreten Fall ging es um ein elektronisches Produkterkennungssystem mit Sprachausgabe (Barcodelesegerät), für das eine hochgradig sehbehinderte Frau die Kostenübernahme als Hilfsmittel bei ihrer Gesetzlichen Krankenkasse beantragt hatte. Die Krankenkasse lehnte ab und begründete dies damit, dass der durch den Barcodescanner ermöglichte selbständige Einkauf nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zähle.

Sowohl das Sozialgericht wie auch das Landessozialgericht sahen dies anders und verurteilten die Krankenkasse zur Übernahme der Anschaffungskosten: So sei der Barcodescanner zum Ausgleich des durch die Sehbehinderung eingetretenen Funktionsverlusts erforderlich und diene der Befriedigung elementarer Bedürfnisse in der Haushaltsführung und der Orientierung bei weiteren grundlegenden Alltagshandlungen.

Die Krankenkasse klagte vor dem Bundessozialgericht und forderten die Richter zur Klärung der Frage heraus, was zu den „Grundbedürfnissen des täglichen Lebens“ zählt, für dessen Befriedigung die Krankenversicherung mit ihrer gesetzlichen Leistungspflicht aufzukommen hat.

In ihrer Entscheidung machen die Richter stellten die Richter zum Einen klar, dass der Barcodescanner mit Sprachausgabe die formalen Voraussetzungen an ein Hilfsmittel erfüllt: Er dient dem mittelbaren Ausgleich einer Behinderung – hier: der Sehbehinderung –, indem ein fehlender Sinn durch Bereitstellung der Information für einen anderen Sinn kompensiert wird, und ist kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.

Zum anderen stellt das Bundessozialgericht heraus, dass auch das selbständige Wohnen und die dazu erforderliche Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums ein allgemeines Grundbedürfnis ist. Dies umfasst die körperlichen und geistigen Fähigkeiten, die notwendig sind, um ohne fremde Hilfe im häuslichen Umfeld verbleiben zu können.

Eine Grundvoraussetzung für das selbstständige Wohnen ist es nach Meinung der Richter unter anderem, dass Nahrungsmittel und Gegenstände des täglichen Bedarfs selbständig besorgt und im häuslichen Umfeld sachgerecht verwendet werden können, wozu der Barcodescanner dient.

Auch die hauswirtschaftliche Verrichtung des Kochens als Vorstufe zum anerkannten Grundbedürfnis der Nahrungsaufnahme wird durch dieses Gerät nicht nur unwesentlich erleichtert, sondern teilweise erst ermöglicht, denn Voraussetzung für die selbständige Nahrungszubereitung ist eine zutreffende Auswahl und Abmessung der Speisen und Zutaten.

Außerdem wird im Urteil darauf hingewiesen, dass die Verwendung des Barcodelesegerätes als Einkaufshilfe nur eine von vielen Einsatzmöglichkeiten des Gerätes ist: Neben der schnellen und verwechslungsfreien Identifikation käuflich erworbener Produkte und Gegenstände des täglichen Bedarfs im persönlichen Umfeld dient es allgemein der Orientierung in der Wohnung sowie der selbständigen Organisation und Führung des Haushaltes.

Trotz der eindeutigen grundsätzlichen Position des Gerichts, dass die Kosten für den Kauf des Barcodescanners von der Gesetzlichen Krankenversicherung zu übernehmen sind, wiesen die Richter den Fall an das zuständige Landessozialgericht zurück, da u. a. Angaben zu den Lebensverhältnissen der Frau fehlen, die für eine abschließende Entscheidung, d. h. für die Verurteilung der Krankenkasse zur Kostenübernahme für ein konkretes Gerät, notwendig sind.

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12.03.2010
SG Dortmund, Az. S 39 KN 98/08 P
Schaffung eines rollstuhlgerechten Terrassenzugangs als Wohnumfeld verbessernde Maßnahme

In einer Entscheidung verurteilte das Sozialgericht Dortmund eine Pflegekasse dazu, den Umbau eines Küchenfensters in eine Terrassentür als Wohnumfeld verbessernde Maßnahme zu fördern. (Die vorhandene Terrassentür ist für einen Rollstuhl nicht breit genug.)

Die Pflegekasse hatte einen entsprechenden Antrag einer auf den Rollstuhl angewiesenen Frau abgelehnt, da sie die Ansicht vertrat, der gewünschte Umbau sei nicht zur Ermöglichung oder Erleichterung der häuslichen Pflege bzw. zur selbständigeren Lebensführung erforderlich.

Im Urteil heißt es, dass kein vernünftiger Zweifel daran bestehe, dass durch den Einbau einer Terrassentür in der Küche die Selbständigkeit der Lebensführung der Klägerin verbessert würde. So würde die Klägerin dadurch in die Lage versetzt werden, ohne fremde Hilfe mit ihrem Rollstuhl ihre Terrasse zu erreichen.

Nach Ansicht des Sozialgerichts gibt es auch keine Bedenken, die Terrasse zum individuellen Wohnumfeld der Klägerin im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes zu rechnen: Das Wohnumfeld sei begrifflich bereits offener und weiter bestimmt als die Wohnung als solche und umfasse die unmittelbar an die Wohnung grenzende Bereiche, die im Eigentum oder zumindest Besitz der pflegebedürftigen Person stehen und die üblicherweise in nicht unerheblichem Umfang mitgenutzt werden.

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01.03.2010
LSG Berlin-Brandenburg, Az. L 9 KR 294/09 B ER
Hilfsmittelgewährung zur Wahrung der Intimsphäre

Einer behinderten Person muss ein Toilettenlifter bereits deshalb gewährt werden, weil sie dadurch während der Blasenentleerung nicht mehr auf eine Hilfsperson angewiesen ist. Unter Bezugnahme auf die Menschenwürde, zu deren Schutz auch die Krankenkasse verpflichtet ist, muss die behinderte Person nach Auffassung der Richter die Möglichkeit haben, körperliche Bedürfnisse unter Wahrung der Intimsphäre zu verrichten.

Alleine schon wegen des erheblich erhöhten Infektionsrisikos ist ein Harnblasenkatheder keine statthafte Alternative.

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17.12.2009
BSG in Kassel, Az.: B 3 KR 20/08 R
Kostenübernahme für Hilfsmittel ist nicht von Festbeträgen begrenzt

Ziel einer Hilfsmittelversorgung ist der möglichst weitgehende Ausgleich des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag begrenzt die Leistungspflicht der Krankenkasse dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht.

Im konkreten Fall ging es um einen praktisch ertaubten jungen Mann, der zum Ausgleich seiner Behinderung ein digitales Hörgerät verordnet bekam, das die nicht vermeidbaren Rückkopplungseffekte bestmöglich unterdrückt. Er beantragte die Kostenübernahme bei der Krankenkasse, die jedoch nur die Übernahme der „Kosten für die Hörgeräteversorgung zum Kassensatz für die Gruppe 3“ nach Maßgabe der für den Wohnsitz des Klägers in Baden-Württemberg geltenden Festbeträge bewilligte – etwa 25 % der Gesamtkosten.

Die Richter entschieden, dass die Krankenkassen zum Ausgleich von Hörbehinderungen grundsätzlich die (vollständigen) Kosten für solche Hörgeräte übernehmen müssen, die nach dem Stand der Medizintechnik die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Nichtbehinderter erlauben und gegenüber anderen Hörhilfen erhebliche Gebrauchsvorteile im Alltagsleben bieten.

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13.08.2009
Sächsisches LSG, Az. L 1 KR 41/09 B ER
Krankenkasse muss auch die Hubvorrichtung für einen Elektro-Rollstuhl zahlen

In einem Beschluss hat das Sächsische Landessozialgericht angeordnet, dass die Krankenkasse – zumindest vorläufig – eine behinderte Frau mit einem E-Rollstuhl mit Hubvorrichtung versorgen muss.

Im Falle einer Frau mit Hyydrocephalus, Spina bifida, erheblicher Rumpfinstabilität und relativ geringer Körpergröße war es neben anderen Zusatzelementen vor allem strittig, ob die Krankenkasse auch für die Finanzierung einer Hubvorrichtung am E-Rollstuhl zuständig ist – wobei die Finanzierung des Elektrorollstuhls an sich unstrittig war. Es wurde argumentiert, die Krankenkasse sei nur für die notwendige Grundversorgung zuständig.

Da die Hubvorrichtung (auch) zur Verrichtung der Tätigkeit der Betroffenen in der Werkstatt für behinderte Menschen notwendig ist, wandte sich die junge Frau auch an den Kommunalen Sozialverband Sachsen als möglichem Leistungsträger. Dieser lehnte jedoch die Kostenübernahme ebenfalls ab, da die gewünschte Zusatzausstattung nicht ausschließlich für die Arbeit erforderlich ist; sie diene z. B. auch zur Vermeidung von Knochenbrüchen beim Transfer und sei daher ebenso medizinisch notwendig und somit eine Leistung der Krankenkasse.

Schon das Sozialgericht hatte die Krankenkasse mit einer einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, der jungen Frau vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens einen Elektrorollstuhl mit der gewünschten Zusatzausrüstung vorläufig zur Verfügung zu stellen.

Begründet wurde dies u. a. damit, dass der ihr derzeit zur Verfügung stehende Aktivrollstuhl den aktuellen Erfordernissen nicht mehr gerecht werde. Bei entsprechend geringer Körpergröße bedürfe die behinderte Frau die Zusatzausrüstung nicht nur bei der Arbeit in der Behindertenwerkstatt, sondern auch im alltäglichen Leben.

Das Landessozialgericht beurteilte die Sachlage ebenso und wies den Einspruch der Krankenkasse zurück.

In ihrer Entscheidung führten die Richter aus, dass die rechtlich vorläufige, aber aufgrund wirtschaftlichen Erwägungen faktisch endgültige Versorgung mit dem gewünschten Rollstuhl geboten ist. Abgesehen von der Diskussion, ob eine berufliche Tätigkeit als elementares Grundbedürfnis angesehen werden kann, für dessen Befriedigung die Krankenkasse zuständig ist, und ob die Erweiterung des Aktionsradius beim Greifen eine Finanzierung der Hubfunktion durch die Krankenkasse rechtfertigt, war für das Landessozialgericht die geringe Körpergröße der behinderten Frau ausschlaggebend. So entlaste die Hubfunktion ihre Schulter-Arm-Region, die beim Anheben des Armes bei Verrichtungen des täglichen Lebens schmerzt und zu einem weiteren Fortschreiten der Funktionseinschränkungen führt – und ist demnach medizinisch indiziert.

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12.8.2009
BSG Kassel, Az. B 3 P 4/08 R
Feststellungen zur Unterscheidung zwischen Hilfsmitteln und Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfelds sowie zur Zuständigkeit bezüglich der Leistungsgewährung

Es gibt immer wieder Streitigkeiten darüber, was ein Hilfsmittel ist und was eine Maßnahme zur Verbesserung des Wohnumfelds ist. Diese Unterscheidung ist wichtig, da die Kosten für Hilfsmittel in der Regel vollständig übernommen werden, die Kosten für eine Maßnahme zur Verbesserung des Wohnumfelds jedoch nur bis zu einer Höhe von 2557,– EUR je Maßnahme.

In einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 12.06.2008 wird festgestellt, dass Deckenlifter als Hilfsmittel (und nicht als Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfelds) anzusehen sind.

Im vorliegenden Urteil, bei dem es erneut um die Frage der Kostenübernahme für einen Deckenlifter geht, wird die oben genannte Unterscheidung präzisiert.
Demnach werden Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung definiert als Anpassung der konkreten Wohnumgebung an die Bedürfnisse des behinderten Menschen und in einer anderen Wohnumgebung nicht notwendig ebenso benötigt werden (z. B. Treppenlifter, Aufzüge, Umbauten in Küche bzw. Bad, Veränderungen der Wohn- bzw. Gebäudesubstanz, oder der Einbau von Fenstern mit Griffen in rollstuhlgerechter Höhe).

Hilfsmittel sind hingegen all die Gegenstände, die bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können, nicht funktionslos werden und grundsätzlich in jeder Wohnumgebung in gleicher Weise und mit im Wesentlichen unveränderter Ausführung benötigt werden und einsatzbereit sind.
Die Befestigung an Wand bzw. Decke spielt keine Rolle. So kann ein Gegenstand auch dann ein Hilfsmittel sein, wenn dieser bei einem Wohnungswechsel ohne wesentliche verbleibende Folgen ausgebaut und mit vertretbarem Anpassungsaufwand in eine neue Wohnung wieder eingebaut werden kann.

(Grundvoraussetzung für die Hilfsmitteleigenschaft eines Gegenstands ist natürlich, dass dieser im Einzelfall erforderlich ist, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, und es sich nicht um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handelt.)

Darüber hinaus stellt das Bundessozialgericht fest, dass die Kostenübernahme für Hilfsmittel vorrangig Sache der Krankenversicherung ist. Nur dann, wenn das Element des Behinderungsausgleich weitestgehend in den Hintergrund tritt und die Pflege ganz überwiegend im Vordergrund steht, ist die Pflegekasse zuständig.

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12.08.2009
BSG in Kassel, Az.: B 3 KR 8/08 R
Rollstuhlfahrer darf nicht auf Schiebehilfe verwiesen werden

Eine Krankenkasse darf einem Behinderten einen elektrisch betriebenen Rollstuhl nicht mit der Begründung verweigern, er könne sich ja von seinen Verwandten schieben lassen. Ziel der Versorgung mit Hilfsmitteln sei es gerade, eine behinderte Person  unabhängig(er) von fremder Hilfe zu machen.

In einer Entscheidung des Bundessozialgerichts ging es um einen an Diabetis mellitus erkrankten und wegen Amputation der Beine auf den Rollstuhl angewiesenen Mann. Als Folge seiner Einschränkung bzw. durch Überbeanspruchung der Arme leidet er chronisch unter einer entzündlichen Erkrankung der Sehnen im Bereich des Ellbogengelenkes und kann sich mit seinem Aktivrollstuhl außerhalb der Wohnung praktisch nicht mehr alleine fortbewegen. Die Krankenkasse lehnte den beantragten Elektrorollstuhl mit der Begründung ab, er könne sich von seiner Frau und seinem Schwiegersohn schieben lassen. Sozialgericht und Landessozialgericht bestätigten diese Entscheidung.

Das Bundessozialgericht jedoch sah dies anders. Es nahm Bezug auf den Zweck von Hilfsmitteln, einen ausreichenden Ausgleich einer Behinderung zu schaffen, und behinderte Menschen nach Möglichkeit von der Hilfe anderer Menschen unabhängig, zumindest aber deutlich weniger abhängig, zu machen.

In Bezug auf Mobilität soll eine Einschränkung in dem Maße ausgeglichen werden, dass es der behinderten Person möglich wird, (ohne fremde Hilfe) einen kurzen Spaziergang machen zu können oder die – üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden – Stellen (z. B. Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post) erreichen zu können, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind – also so weit zu kommen, wie eine nichtbehinderte Person üblicherweise zu Fuß gehen würde.

Die Richter verwiesen den Fall zurück an das Landessozialgericht um zu prüfen, ob eine eigene Fortbewegung mit dem Aktivrollstuhl wirklich nicht mehr möglich ist. Wenn dem so wäre, sei die Gewährung eines Elektrorollstuhls geboten.

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05.03.2009
LSG Berlin-Brandenburg, Az.: L 15 SO 262/07
Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben

Obwohl die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs in den allermeisten Fällen nur zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligt wird, ist sie in begründeten Einzelfällen auch zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu bewilligen, ohne dass der/die AntragsstellerIn berufstätig ist.

Ein solcher Fall lag dem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg zu Grunde:

Es ging um einen jungen Mann mit einer fortschreitenden Behinderung, der einen behinderten Bruder und behinderte Eltern hat. Er kann sich nicht alleine vom Rollstuhl ins Auto umsetzen, seinen Eltern ist dies auf Grund seiner Größe und seines Gewichts nicht mehr möglich. Auf den Verweis des zuständigen Leistungsträgers auf andere Arten der Fortbewegung entgegnete die Mutter, dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich ist, und dass es in der Umgebung keinen Behindertenfahrdienst gibt, der den jungen Mann in seinem Pflegerollstuhl transportieren kann.

Das Landessozialgericht hob die abschlägige Entscheidung der ersten Instanz auf und stellte den Anspruch des jungen Mannes auf Gewährung der Kosten zur Anschaffung eines geeigneten Fahrzeugs fest. Eine solche Leistung müsse bewilligt werden, wenn die „allgemeine“ Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft genauso wichtig ist wie es für andere die Teilhabe am Arbeitsleben ist. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Notwendigkeit, ein Kraftfahrzeug zu benutzen, regelmäßig (d. h. täglich oder in kurzen regelmäßig wiederkehrenden Abständen) besteht, weil die Mobilität des behinderten Menschen nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann und er somit von Freizeitaktivitäten außerhalb des unmittelbaren Nahbereichs ausgeschlossen wäre.

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25.02.2009
LSG Niedersachsen-Bremen, Az.: L 1 KR 201/07
Kasse muss Lichtsignalanlage zahlen

In einem Verfahren vor dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen wurde die Krankenkasse dazu verurteilt, einer hochgradig schwerhörigen Frau eine Signalanlage für ihre Wohnung zu finanzieren.

Die Krankenkasse hatte die Kostenübernahme abgelehnt, da es sich bei den beantragten Geräten nicht um Hilfsmittel, sondern um eine Maßnahme zur Verbesserung des Wohnumfelds handele, für die sie nicht zuständig sei. Die Signalanlage könne bei einem Wohnungswechsel nicht mitgenommen werden.

Hiergegen klagte die Frau mit dem Argument, dass die Lichtsignalanlage eine fehlende Körperfunktion ersetze; sie sei nicht fest mit der Wohnung verbunden und könne bei einem Umzug problemlos mitgenommen werden.

Das Sozialgericht gab der Ablehnung der Krankenkasse Recht, da die Hilfsmitteleigenschaft wegen der fehlenden Mitnahmemöglichkeit nicht gegeben sei: Es müsse nämlich ein Kabel von der Türklingel zum Sender verlegt werden, wozu in der Bedienungsanleitung die Hinzuziehung eines Elektrikers empfohlen werde.

Das Landessozialgericht hingegen hob das Urteil auf und gab der schwerhörigen Frau Recht: Die beantragte Lichtklingelanlage diene dem Ausgleich der Behinderung, werde speziell für behinderte und chronisch kranke Menschen hergestellt, und sei im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt.

Außerdem wird in dem Urteil auf Ausführungen des Bundessozialgerichts Bezug genommen, dass eine Klingelleuchte für einen Schwerhörigen selbst dann ein in die Leistungspflicht der Krankenversicherung fallendes Hilfsmittel sein kann, wenn sie mit dem Gebäude fest verbunden ist.
Somit ist die Krankenkasse leistungspflichtig.

(vgl. auch das Urteil Deckenlifter sind Hilfsmittel)

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02.02.2009
LSG Niedersachsen-Bremen, Az.: L 1 KR 192/08 ER
Kasse muss E-Fix-Antrieb zusätzlich zum E-Rollstuhl finanzieren

Bei Vorhandensein eines E-Rollstuhls kann zusätzlich ein E-Fix-Antrieb für den Faltrollstuhl beantragt bzw. bewilligt werden. Dabei handelt es sich nicht um eine Doppelversorgung, da es sich nicht um typengleiche Hilfsmittel handelt. Der mit dem E-Fix-Antrieb ausgestattete Rollstuhl kann auch zur manuellen Fortbewegung benutzt werden und dient damit der Kräftigung der Muskulatur.

In demm zu entscheidenden Fall ging es um eine Frau mit Friedreicher Ataxie, die zusätzlich zu ihrem E-Rollstuhl einen neuen E-Fix-Antrieb für ihren manuellen Rollstuhl beantragt hatte, da ihr bisheriger E-Fix aus Altersgründen nicht mehr reparierbar war. Diesen Antrag lehnte die Krankenkasse mit Hinweis auf die Benutzbarkeit des E-Rollstuhls ab.

Dagegen legte die behinderte Frau Widerspruch ein: Sie argumentierte, dass sie mit dem E-Fix-Antrieb besser zurechtkomme und diesen außerdem für therapeutische Maßnahmen verwende. Ohne E-Fix-Antrieb drohe eine Verschlechterung des Gesundheitszustands und ein größeres Angewiesensein auf Hilfe.

Einen daraufhin beim Sozialgericht eingereichten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wurde abgewiesen, weil ein Anordnungsgrund fehle: Da Antrag, Widerspruch bzw. Klage nicht rasch genug eingereicht wurden, sei die Eilbedürftigkeit nicht glaubwürdig.

Vor dem Landessozialgericht machte die behinderte Frau zusätzlich geltend, dass das E-Fix das Fortschreiten ihrer Behinderung verzögere, besser lenkbar und leichter zu bedienen sei. Außerdem ergäben sich nur geringe Kosten, da die Krankenkasse das Gerät auf Vorrat habe. Darüber hinaus könne sie nur mit E-Fix alleine die Wohnung verlassen.

Das Landessozialgericht sah den Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als gegeben an und verurteilte die Krankenkasse dazu, die behinderte Frau bis zum Abschluss des Hauptsache-Verfahrens mit einem E-Fix zu versorgen. Es handele sich um eine sog. Ersatzbeschaffung und – wie oben ausgeführt – nicht um eine Doppelversorgung. Gestützt auf die Gutachten der Ärzte und Therapeuten bestätigten die Richter die Notwendigkeit des Hilfsmittels. Darüber hinaus wurde mit der größeren Eigenständigkeit und den Wegfall von Transfers durch das Zusatzgerät für den manuellen Rollstuhl argumentiert.

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20.11.2008
BSG Kassel, Az.: B 3 KN 4/07 KR R /B 3 KR 6/08 R /B 3 KR 16/08 R
Finanzierung eines Kraftknotens zum sicheren Transport eines Rollstuhls

In drei Urteilen vom 20.11.2008 entschied das Bundessozialgericht in der jahrelang strittigen Frage, welcher Leistungsträger für die Finanzierung dieses Rückhaltesystems zuständig ist. Mit dem Kraftknotensystem als Zusatzausrüstung für einen Rollstuhl können behinderte Menschen in ihrem Rollstuhl sitzend sicher in einem Kraftfahrzeug befördert werden.

Das Gericht entschied, dass die Krankenkasse der zuständige Leistungsträger ist, wenn der Kraftknoten zum sicheren Transport zur Schule, zur Werkstatt für behinderte Menschen und/oder zu Ärzten bzw. Therapeuten notwendig ist.

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16.10.2008
LSG Nordrhein-Westfalen, Az. L 16 B 60/08 KR
Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht bindend

In einem Urteil hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen bezüglich der Finanzierung von Hilfsmitteln durch die Gesetzliche Krankenversicherung entschieden, dass das Hilfsmittelverzeichnis keinen verbindlichen oder endgültigen Charakter hat, sondern nur einen Überblick bieten soll. Das heißt, dass die Tatsache allein, dass ein bestimmtes Produkt nicht im Hilfsmittelverzeichnis zu finden ist, kein hinreichender Grund ist, die Kostenübernahme abzulehnen.

Des Weiteren wurde bezüglich der Abgrenzung von einem Hilfsmittel gegenüber einem Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ein weiteres Mal klargestellt, dass Gegenstände oder Geräte dann keine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind, wenn sie speziell für kranke bzw. behinderte Menschen konzipiert wurden und ausnahmslos oder überwiegend von dieser Personengruppe benutzt werden

Im konkreten Fall ging es um eine ältere Frau, die wegen einer Knieprothese massive Probleme hatte, die Badewanne zu verlassen. Da ein Badewannenlifter für ihr Bad ungeeignet ist, beantragte sie mobile Badewannengriffe mit Saugnäpfen. Trotz der Tatsache, dass die Griffe als medizinisches Produkt anerkannt sind und eine Pharmazentralnummer besitzen, lehnte die Krankenkasse die Kostenübernahme mit der Begründung ab, sie seien Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens.

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12.06.2008
BSG Kassel, Az.: B 3 P 6/07 R
Deckenlifter sind Hilfsmittel

In einem Urteil vom 12.06.2008 hat das Bundessozialgericht entschieden, dass Deckenlifter als Hilfsmittel der Gesetzlichen Krankenversicherung bzw. Gesetzlichen Pflegeversicherung anzusehen sind. In Folge dessen müssen die Anschaffungskosten komplett übernommen werden.

Bisher galten die an Wand bzw. Decke verschraubten Liftsysteme als das Wohnumfeld verbessernde Maßnahme nach § 40 Abs. 4 SGB XI und wurden „nur“ mit bis zu 2557 Euro bezuschusst.

Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass Deckenlifter trotz der Befestigung am Gebäude bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können.

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07.05.2008
LSG Nordrhein-Westfalen, Az.: L 16 B 18/08 KR
Kosten für Umprogrammierung einer Umfeldsteuerung sind vermutlich erstattungsfähig

Ein Beschluss zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe legt nahe, dass die Kosten für die Umprogrammierung einer Umfeldsteuerung von der Krankenkasse erstattet werden müssen. Prozesskostenhilfe wird nämlich immer nur dann bewilligt, wenn der Prozess, für den diese Unterstützung gewährt wird, gute Aussichten auf Erfolg hat.

Antragsstellerin war eine Frau, die sich überwiegend im Bett aufhält und deren Greiffunktion erheblich beeinträchtigt ist. Neben anderen Hilfsmitteln hat sie ein speziell für Behinderte entwickeltes Umfeldkontrollgerät mit nur einem Bedienungsknopf, um verschiedene Geräte zu bedienen, u. a. den Fernseher.

Als sie einen neuen Fernsehapparat bekam, verordnete ihr der Arzt das Einlesen der neuen Infrarot-Codes in die Umweltsteuerung. Den daraufhin vorgelegten Kostenvoranschlag einer entsprechenden Firma lehnte die Krankenkasse ab. Dies wurde damit begründet, dass die Nutzung eines Fernsehgerätes nicht zu den Grundbedürfnissen gehöre, für die die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) einzustehen habe, bzw. wurde darauf verwiesen, dass zur Befriedigung des Informationsbedürfnisses das vorhandene Radiogerät ausreiche. Verbunden mit der Klage, welche die Frau gegen diese Entscheidung erhob, beantragte die Frau Prozesskostenhilfe, um die Kosten für ihren Rechtsanwalt zu decken.

Das Landessozialgericht bewilligte den Antrag auf Prozesskostenhilfe. Nach Ansicht der Richter bestehe eine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Begründet wird dies mit der Tatsache, dass die Umfeldsteuerung als solches als Hilfsmittel gilt, dessen Anschaffungskosten von der Krankenkasse übernommen wurden. Da auch die Kosten für Reparaturen, Montagematerial und die Einweisung für derartige übernommen werden, könnten auch Kodierungserweiterungen von diesem Leistungsträger finanziert werden.

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24.04.2008
LSG Berlin-Brandenburg, Az.: L 27 P 48/08
Erneute Finanzierung einer Maßnahme zur Verbesserung des Wohnumfelds bei einer Veränderung des Pflegebedarfs möglich

Die Pflegeversicherung bezuschusst eine Maßnahme zur Verbesserung des Wohnumfelds mit bis zu 2557 Euro. Wenn sich die Pflegesituation (im vorliegenden Fall: durch Heranwachsen des Kindes) grundlegend ändert, muss dieser Höchstbetrag erneut gewährt werden.

In dem Fall, den das Sozialgericht zu entscheiden hatte, ging es um ein Kind, für das im Jahre 1997 Leistungen zur Verbesserung des Wohnumfelds zum Einbau eines Treppenlifts bewilligt wurden. Aus Kostengründen wurde die Maßnahme erst im Jahr 2003 realisiert.

Im Jahr 2003 beantragte das Kind (bzw. dessen Eltern) erneut Leistungen zur Verbesserung des Wohnumfelds zur Finanzierung einer Decken-Liftanlage mit umhängbaren Deckenlifter. Dies lehnte die Pflegekasse mit der Begründung ab, es handele sich hierbei um keine neue eigenständige Maßnahme (sondern um eine Ergänzung des Treppenlifts.)
Das Sozialgericht, bei dem Klage gegen diese Entscheidung erhoben wurde, verurteilte die Pflegekasse zur Finanzierung des Deckenlifters als Pflegehilfsmittel. Dagegen klagte wiederum die Pflegekasse.

Das Landessozialgericht verneinte die Hilfsmitteleigenschaft, da der Deckenlifter nicht ohne weiteres in ein anderes Wohnumfeld mitgenommen werden kann. Allerdings steht für die Richter fest, dass sich d ie Pflegesituation des Klägers zwischen seinem vierten und seinem zehnten Lebensjahr sich so grundlegend geändert hat, dass eine objektive Änderung der Pflegesituation bejaht werden muss, die zu weiteren Schritten zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes führen muss, die bei Beantragung des Treppenlifts noch nicht notwendig waren. D ie individuelle häusliche Pflegesituation wird sich durch den Einbau der Deckenlifteranlage verbessern bzw. die Pflege erheblich erleichtern. Perspektivisch ist diese Maßnahme zur Durchführung der Pflege geradezu notwendig.

Da das Gericht außerdem feststellt, dass der Einbau des Deckenlifters eine gegenüber dem Einbau des Treppenlifts rechtlich zu trennende, selbständige Maßnahme ist, die erneut bezuschusst werden kann, wird die Pflegekasse zur Leistungsgewährung verurteilt.

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03.04.2008
LSG Rheinland-Pfalz, Az.: L 5 115/06
Erstattung der Kosten für eine selbst beschaffte mobile Rampe

Wenn ein Hilfsmittel unter anderem dazu dient, den Ausbildungsplatz zu erreichen, so ist die Bundesagentur für Arbeit für die Finanzierung zuständig.

Im konkreten Fall ging es um einen jungen Mann, der bei seiner Krankenkasse eine mobile Auffahrhilfe beantragte, damit sein Elektrorollstuhl im Kleinbus seiner Eltern transportiert werden kann. Die Beförderung des zuvor von der Krankenkasse bewilligten Rollstuhls war notwendig, um Arzttermine in der 10 Kilometer entfernten Stadt wahrzunehmen, zu Berufsschule und überbetrieblicher Ausbildung zu gelangen, und um am gesellschaftlichen Leben (Familienfahrten, Besuche bei Freunden, Kinobesuche etc.) teilzunehmen. Er begründete den Antrag gegenüber der Krankenkasse damit, dass die Kosten für einen Fahrdienst vor und nach Arztbesuchen innerhalb kürzester Zeit höher seien als die Kosten für die beantragte Rampe. Als die Krankenkasse ablehnte, beschaffte er sich das Hilfsmittel selber und klagte auf Erstattung der Kosten.

Das Gericht entschied, dass zwar kein Leistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse bestanden habe, wohl aber gegenüber der Arbeitsagentur. Da die Krankenkasse den Antrag jedoch nicht an den zuständigen Leistungsträger weitergeleitet hat (wie es § 14 SGB IX vorsieht), sondern zu Unrecht ablehnte, habe der junge Mann das Recht gehabt, sich die Rampe selber zu beschaffen.

Die Begründung, warum die Arbeitsagentur für die fragliche Leistung zuständig ist, erfolgte nach dem Ausschlussprinzip und m. E. ziemlich spitzfindig. So sei die Krankenkasse trotz der vielen Fahrten zu medizinisch indizierten Terminen nicht zuständig, weil die beantragte mobile Rampe nicht – wie es im Gesetz heißt – den Erfolg der Krankenbehandlung sichert, sondern eine Krankenbehandlung erst ermöglicht. Auch der Sozialhilfeträger scheidet als Leistungsträger im Rahmen der Eingliederungshilfe aus, da die Rampe bereits selbst beschafft worden ist und keine Bedürftigkeit vorliegt. Daher verurteilte das Gericht die Bundesanstalt für Arbeit zur Kostenerstattung, obwohl der Anteil der beruflich bedingten Fahrten bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung am geringsten war.

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21.02.2008
LSG Rheinland-Pfalz, Az.: L 5 KR 129/07
Ausrüstung des Rollstuhls mit einem Kraftknoten ist Leistung der gesetzlichen Krankenkasse

Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat in seinem Urteil vom 21.02.2008 entschieden, dass die Krankenkasse für die Kosten aufkommen muss, die bei der Ausrüstung eines Rollstuhls mit einem Kraftknoten entstehen.

Im vorliegenden Fall ging es um einen Jungen, der bei Heimfahrten vom Schulinternat zu seinen Eltern, bei regelmäßigen Fahrten zu Ärzten oder zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben auf die Beförderung in einem Behindertentransportfahrzeug angewiesen ist. Dabei ist es notwendig, den Elektro-Rollstuhl, in dem der Junge auch wegen der Fahrt sitzt, sicher zu fixieren. Dafür ist das Kraftknotensystem als Rückhaltesystem zur Sicherung des Rollstuhls die geeignete Methode. Sie setzt jedoch eine entsprechende Befestigungsvorrichtung am Rollstuhl voraus.

Die Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme für diese Ausrüstung ab, da der Kraftknoten kein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Dieser diene vielmehr dem Ausgleich der Folgen einer Behinderung im beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Bereich.

Demgegenüber bestätigte das Landessozialgericht die erstinstanzliche Entscheidung und verurteilte die Krankenkasse zur Übernahme der anfallenden Kosten. Begründet wird dieses Urteil im Kern damit, dass ein Hilfsmittel von der gesetzlichen Krankenversicherung immer dann zu gewähren ist, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehört die Fortbewegung.

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21.12.2007
OVG Münster, Az.: 12 A 2269/07
Begleitende Hilfe im Arbeitsleben auch bei beruflicher Weiterbildung

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat in einem Beschluss festgestellt, dass die begleitende Hilfe im Arbeitsleben (§ 102 SGB IX) nicht auf arbeitsplatzbezogene Maßnahmen begrenzt sind, die dazu dienen, einen Arbeitsplatz zu erhalten oder die Chancen zu erhöhen, einen konkret in Aussicht stehenden Arbeitsplatz zu bekommen. Sie ist auch nicht begrenzt auf den Ausgleich der unmittelbar behinderungsbedingten Nachteile.

Konkret betraf der Beschluss eine schwerhörige und körperbehinderte Frau. Sie hat eine volle Stelle in einer Stadtverwaltung und beantragte einen Zuschuss zu den Kosten für eine Weiterbildung zur staatlich geprüften Betriebswirtin, der zunächst abgelehnt wurde.

Das Gericht weist darauf hin, dass an der entsprechenden Stelle des § 102 SGB IX der umfassende Begriff des „Arbeitslebens“ verwendet wird und nicht (nur) von „Arbeitsplatz“ die Rede ist. So werden in Abs. 3 Nr. 1 e) dieses Paragrafens Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen ausdrücklich als zu unterstützende Maßnahme benannt.

Es wird auch klar gestellt, dass spezielle Regelungen für behinderte Menschen den Anspruch auf Leistungen, die ArbeitnehmerInnen generell bekommen (können), natürlich nicht ausschließen.

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29.11.2007
SG Detmold, Az.: S 6 SO 127/06
Kostenträger muss behindertengerechten Umbau eines Autos finanzieren

Der Sozialhifeträger muss die Kosten für den behindertengerechten Umbau eines vorhandenen Fahrzeugs im Rahmen der Eingliederungshilfe übernehmen, wenn eine Person zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben auf einen PKW angewiesen ist.

Im konkreten Fall ging es um eine Rentnerin, die zur Fortbewegung auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Zur Ausübung ihrer vielfachen ehrenamtlichen Tätigkeiten benötigt sie ein Auto.

Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Frau nicht mehr berufstätig und somit die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nicht zuständig ist, lehnte der Sozialhilfeträger die Übernahme der strittigen Kosten ab. Er begründete dies damit, dass der vom Gesetzgeber benannte Hauptzweck für eine Kraftfahrzeughilfe, die Eingliederung in das Arbeitsleben, nicht bestehe.

Demgegenüber folgte das Gericht dem Verweis der Klägerin auf § 9 der Eingliederungshilfeverordnung, nach dem der Anspruch auf Hilfe für besondere Bedienungseinrichtungen und Zusatzgeräte immer dann besteht, wenn damit ein Zweck der Eingliederungshilfe erreicht wird. Ein Zweck ist es, dem behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Die Notwendigkeit der Benutzung eines Kfz müsse nicht ständig gegeben sein.

Auf Grund der Art ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit, bei der notwendige Fahrten zeitlich nicht planbar sind, könne sie nicht auf öffentliche Verkehrsmittel oder den Behindertenfahrdienst verwiesen werden.

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08.11.2007
LSG Hessen, Az.: L 1 KR 230/07 ER
Doppel-Ausstattung mit Hilfsmitteln

In einem unanfechtbaren Beschluss entschied das Landessozialgericht Hessen, dass in Einzelfällen eine Mehrfachausstattung mit einem Hilfsmittel notwendig bzw. gerechtfertigt sein kann und nicht mit dem Argument der Unwirtschaftlichkeit abgelehnt werden darf.

Im konkreten Fall ging es um eine zweite Sitzschale für eine 17jährige spastisch behinderte Frau, die bisher immer auf dem Boden liegen musste, während die Sitzschale im Auto der Mutter ein- bzw. ausgebaut wurde.

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01.08.2007
LSG Berlin-Brandenburg, Az.: L 31 KR 71/07
Behindertendreirad kann auch bei Erwachsenen als Hilfsmittel von der Krankenkasse finanziert werden

Ergänzend zur bisherigen Rechtssprechung, dass die Krankenkasse Kosten für Behindertendreiräder nur noch bei Kindern und Jugendlichen übernimmt, entschied das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in einem Fall, dass auch Erwachsene unter bestimmten Umständen ein Dreirad als Leistung der Krankenkasse erhalten können.

Im konkreten Fall ging es um einen Mann mit einer Tetraspastik, der nicht über die notwendigen feinmotorischen Fähigkeiten verfügt, um einen Elektrorollstuhl zu bedienen.

Während die Krankenkasse argumentierte, die Anschaffungskosten des Dreirads seien vom Versicherten selbst zu tragen, da es sich bei einem Fahrrad um ein Gegenstand des täglichen Bedarfs (und nicht um ein Hilfsmittel) handelt, entschied das Gericht zu Gunsten des behinderten Menschen: Das Dreirad sei zum Ausgleich des Grundbedürfnisses der Bewegungsfreiheit notwendig, da ein Elektrorollstuhl aus oben genannten Gründen ausscheide. Auch handele es sich bei dem Dreirad, um das es geht, nicht um einen Bedarfsgegenstand des täglichen Lebens, weil es speziell für die Bedürfnisse Behinderter und Rehabilitanden hergestellt und auch so beworben wird.

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19.06.2007
SG Stade, Az.: S 15 KR 129/06
Kostenübernahme für ein schnurloses Festnetztelefon mit erforderlichem Zubehör

Im Rahmen der Versorgung mit einem sprachgesteuerten Umweltkontrollsystem muss die Krankenkasse auch die Kosten für ein schnurloses Festnetztelefon und dem notwendigem Zubehör übernehmen.

Die Entscheidung betraf einen mehrfach körperbehinderten Mann mit einer reaktiven Depression, bei dem die Kostenübernahme für eine Umweltsteuerung unstrittig war bzw. vorlag. Die Krankenkasse weigerte sich jedoch, diejenigen Kosten ebenfalls zu übernehmen, die für und im Zusammenhang mit dem Telefon entstehen, das in dieses System integriert werden sollte . Sie begründete diese Position damit, dass „Kommunikation“ kein Grundbedürfnis sei; Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung sei allein die medizinische Rehabilitation, also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktion einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Für darüber hinausgehende Leistungen seien andere Sozialleistungssysteme zuständig.

Dies sah das Gericht anders und verurteilte die Krankenkasse dazu, auch die umstrittenen Kosten zu tragen. Begründet wird diese Entscheidung mit § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, nach dem Versicherte unter anderem Anspruch haben auf Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind. Ein Telefon könne zwar den behinderungsbedingten Funktionsausfall nicht ausgleichen, jedoch diene es der Schaffung und Erschließung eines geistigen Freiraums und der hinreichenden Kommunikation. Beide Aktivitäten zählen zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens, die in Folge der Behinderung des Klägers eingeschränkt sind und deshalb ebenfalls auszugleichen sind. Der Begriff der „hinreichenden Kommunikation“ wurde im vorliegenden Fall auf Grund der sozialen Zurückgezogenheit und drohenden Isolation des Klägers weiter gefasst: Während im Allgemeinen die Verständigungsmöglichkeit mit einer Person als ausreichend angesehen wird, sieht das Gericht es in diesem speziellen Fall als notwendig an, dass der Kläger durch das Telefon die Möglichkeit erhält, selbständig und unbeaufsichtigt, d. h. ohne die Hilfe seiner Ehefrau, mit Dritten zu kommunizieren.

Bezüglich der Definition von „allgemeinen Gebrauchsgegenständen“, die als von der Krankenkasse zu finanzierende Hilfsmittel ausgeschlossen sind, heißt es im Urteil, dass diejenigen Gegenstände trotz großer Verbreitung nicht als „allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens“ gelten, die für die speziellen Bedürfnisse von Kranken und Behinderten hergestellt und überwiegend von diesen benutzt werden. Dabei kommt es einerseits auf die Sicht der Hersteller und andererseits auf die Sicht der tatsächlichen Benutzer an.

01.08.2006
SG Dresden, Az.: S 25 KR 157/05
Schnurloses Telefon kann Hilfsmittel der Krankenkasse sein

In einem Urteil des Sozialgerichts Dresden wurde die Krankenkasse des Betroffenen dazu verpflichtet, die Kosten für ein schnurloses Telefon mit Hörverstärker zu übernehmen. Das Gerät kann bei den meisten handytauglichen Hörgeräten angeschlossen werden. Voraussetzung für die Entscheidung war, dass der fast an Taubheit leidende Betroffenen durch ärztliches Attest nachweisen konnte, dass ihm durch das Gerät einschließlich Zubehör eine ausreichende Verständigung möglich ist. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass es sich bei dem Gerät nicht um einen Gebrauchsgegenstand handelt, wie von der Krankenkasse behauptet, sondern um ein Hilfsmittel. Dies ergibt sich daraus, dass das Gerät die Tätigkeit des Telefonierens ermöglicht – ein Grundbedürfnis, das von der Krankenkasse sichergestellt werden muss.

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19.04.2007
BSG Kassel, Az.: B 3 P 8/06 R
Gewährung eines zweiten Zuschusses für „Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes“

Nach § 40 Abs. 4 SGB XI können die Pflegekassen finanzielle Zuschüsse für sog. „Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes“ des Pflegebedürftigen gewähren. Dabei geht es um Umbauten in der Wohnung, welche „die häusliche Pflege ermöglicht oder erheblich erleichtert oder eine möglichst selbstständige Lebensführung des Pflegebedürftigen wiederhergestellt wird“.

Der Haken dabei ist – abgesehen davon, dass maximal 2257 Euro pro Maßnahme gewährt werden –, dass jede Maßnahme nur einmal, d. h. nur in einer Wohnung, finanziert wird. Dies machte für Pflegebedürftige den Umzug in eine andere Wohnung sehr schwierig.

Diesbezüglich entschied das Bundessozialgericht am 19.04.2007, dass für die Gewährung eines erneuten Zuschusses allein die objektive Änderung der Pflegesituation maßgeblich ist. Die Ausweitung des Pflegebedarfs ist nur eine – wenn auch wohl die bedeutendste – Variante hierfür, schließe aber andere Varianten nicht aus.

Die Gewährung eines zweiten Zuschusses für Umbauarbeiten in einer neuen Wohnung hänge nach Auffassung der Richter davon ab, ob der Umzug in diese Wohnung auf nachvollziehbaren Erwägungen des Pflegebedürftigen beruht, was z. B dann gegeben sein kann, wenn der Umzug aus beruflichen Gründen erfolgt oder der Pflegebedürftige aus einer Mietwohnung in geerbtes Wohneigentum umzieht. Zu den nachvollziehbaren Erwägungen für einen Umzug in eine noch nicht behindertengerecht ausgestattete Wohnung zähle auch der Entschluss eines Pflegebedürftigen, wegen des eigenen Alters und des Alters der Ehefrau sowie zur Verringerung des Arbeitsaufwandes bei der Haushaltsführung in eine kleinere Wohnung im eigenen Haus umzuziehen, einem erwachsenen Kind und dessen Ehepartner bzw. Familie die bisher genutzte größere Wohnung zu überlassen und auch eigentumsrechtlich einen Generationenwechsel herbeizuführen.

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13.12.2005
SG Freiburg, Az.: S 11 KR 4870/05 R
Anspruch auf Reparatur einer Hebebühne bei vorangegangener Gewährung als Hilfsmittel  

Das Sozialgericht Freiburg hat eine Krankenkasse durch Beschluss vom 13. Dezember 2005 verpflichtet, vorläufig die Reparatur einer Hebebühne zu bezahlen. Der Versicherte war aufgrund eines Unfalls gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Er bewohnte eine nur über eine Treppe erreichbare Wohnung im Erdgeschoss. Im Jahr 2001 gewährte die Krankenkasse dem Versicherten eine Hebebühne zur Überwindung der Zugangsbarriere und verpflichtete sich zur Übernahme der Wartungskosten. Die im Jahr 2005 entstandenen Reparaturkosten lehnt die Kasse aber unter Berufung auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Saarland ab, wonach einer Hebebühne die Hilfsmitteleigenschaft nach § 33 Absatz 1 Satz 1 SGB V fehlt. Nach dem Beschluss des Sozialgerichts Freiburg kann die Verpflichtung zur Reparatur eines zuvor gewährten Hilfsmittels nicht mit der Begründung abgelehnt werden, ein Anspruch auf Gewährung des Hilfsmittels habe eigentlich nicht bestanden.

Quelle: Häusliche Pflege 2/06, S. 52

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12.09.2005
SG Mainz, Az.: S 7 KR 370/04
Behindertengerechtes Fahrrad für schwerstbehinderten jungen Mann

Das Sozialgericht Mainz hat mit Urteil vom 12.09.2005 entschieden, dass auch Erwachsenen im Einzelfall eine behindertengerechtes Fahrrad als Hilfsmittel im Rahmen Krankenversicherung zustehen kann. Im konkreten Fall ging es um einen 18jährigen schwerstbehinderten jungen Mann, der von seiner geistigen Entwicklung mit einem „normalen“ Jugendlichen oder Erwachsenen nicht vergleichbar war. Weitere Voraussetzungen für die Gewährung des Hilfsmittels sind, so das Urteil, dass ein handgetriebener Rollstuhl nicht bedient werden kann und die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl zur Passivierung führen würde.

Quelle: Rechtsdienst der Lebenshilfe 1/06 S. 19

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17.05.2005
SG Aachen, Az.: S 13 KN 39/04 P
Bewilligung eines Hausnotrufsystems als Pflegehilfsmittel

Nach § 40 SGB XI (Pflegeversicherungsgesetz) haben Pflegebedürftige Anspruch auf Versorgung mit Pflegehilfsmitteln, die zur Erleichterung der Pflege oder zur Linderung der Beschwerden des Pflegebedürftigen beitragen oder ihm eine selbständigere Lebensführung ermöglichen, soweit die Hilfsmittel nicht wegen Krankheit oder Behinderung von der Krankenversicherung oder anderen zuständigen Leistungsträgern zu leisten sind.

Auf der Grundlage dieses Paragrafens beantragte eine Frau mit Pflegestufe I die Kosten für Bereitstellung und Betrieb eines Hausnotrufsystems von ihrer Pflegekasse. Sie leidet unter Entkräftung und zeitweisem Schwindel und fürchtet sich vor einer lebensbedrohlichen Situation in Folge eines Sturzes.

Daraufhin holte die Pflegekasse eine Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes ein, in der unter anderem festgestellt wurde, dass die Antragsstellerin sowohl ein handelsübliches Telefon als auch ein Handy benutzen könne, und dass derzeit lebensbedrohliche Situationen seien aufgrund der Krankheitsgeschichte nicht zu erwarten seien. Auf dieser Grundlage lehnte die Pflegekasse die Kostenübernahme als zur Erleichterung der Pflege, Linderung der Beschwerden oder Ermöglichung einer selbstständigen Lebensführung nicht erforderlich ab.

Entgegen der Auffassung der Pflegekasse, dass die Kostenübernahme nur für allein lebende Personen in Frage kommt, die nicht in der Lage sind, mit einem Telefon bzw. Handy einen Notruf absetzen können, und dass allein die Befürchtung, es könne irgendwann zu einer Notsituation kommen, für eine Bewilligung nicht ausreicht, verurteilte das Sozialgericht die Pflegekasse zur Kostenübernahme für das gewünschte Hausnotrufsystem.

In der Begründung heißt es, dass dieses technische der Frau eine selbstständigere Lebensführung ermögliche. Die unstreitige Fähigkeit der Klägerin, Festnetztelefon und Handy unter „normalen“ Umständen nutzen zu können, sei nicht auf eine häusliche Notfallsituation übertragbar. Zum Einen sei nicht sicher, dass bei einem Sturz der Klägerin in ihrer Wohnung das Festnetztelefon oder das Handy in erreichbarer Nähe ist; zum Anderen hat die Klägerin glaubhaft und überzeugend dargelegt, dass sie infolge der bei einem Sturz eintretenden Benommenheit nicht in der Lage wäre, entsprechend einprogrammierte Notrufnummern auf dem Festnetzgerät bzw. dem Handy zu wählen.

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22.11.2004
Hess. VGH, Az.: 10 TG 3128/04
Neuanschaffung einer Brille für SozialhilfeempfängerInnen

Zwei richterliche Beschlüsse der letzten Zeit verpflichteten den Sozialhilfeträger zur Übernahme der Kosten für eine Brille.

So bestätigte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht am 13.8.2004 den Beschluss des Verwaltungsgerichts, dass das Sozialamt einem Bezieher von Hilfe zum Lebensunterhalt eine 100%ige Beihilfe für die Neuanschaffung einer Brille gewähren muss, die bei einem Sturz zu Bruch gegangen war.

In der Begründung holen die Richter weit aus: Ein fehlender Anspruch auf die Übernahme der Kosten für ein Brillengestell bedeute grundsätzlich nicht, dass die Krankenhilfe nach § 37 BSHG entsprechend begrenzt ist. Bis zum 31.12.2003 bedeutete dies für Sozialhilfeempfänger, dass sie einen Anspruch auf Übernahme des von der Krankenversicherung nicht gedeckten Teils der Krankheitskosten hatten. Zwar ist durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz die Kostenübernahme für Sehhilfen durch das Sozialamt auf Sonderfälle mit starker besonders starker Sehbehinderung begrenzt worden, aber eine generelle Versagung einer Hilfe für die Beschaffung einer Brille verstoße nach Ansicht der Richter gegen sozialhilferechtliches Bedarfsdeckungsprinzip.

Auch der Verwaltungsgerichtshof Hessen stellte fest, dass Sozialhilfeempfänger einen Anspruch auf eine einmalige Beihilfe vom Sozialamt für eine Brille haben, obwohl die Krankenkassen nach den neuen Vorschriften im Gesundheitsmodernisierungsgesetz nicht mehr zur Kostenübernahme von Brillengläsern bei Erwachsenen verpflichtet sind. Eine Brille könne als «Gebrauchsgut von längerer Gebrauchsdauer» gelten, außerdem könne ein medizinisch begründeter Bedarf auch Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts sein.

Da sich bei den Hilfen zur Gesundheit im am 1.1.2005 in Kraft getretenen SGB XII gegenüber dem BSHG inhaltlich meines Wissens nichts geändert hat, sind die oben genannten Entscheidungen auch bei zukünftigen Streitfällen von Bedeutung.

( Quelle: www.sozialportal.de, Leben und Weg 6/2004)

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11.11.2004
BSG Kassel, Az. B 9 V 3/03 R
Schneller Rollstuhl

Vielen behinderten Menschen ist die „normale“ Geschwindigkeit eines E-Rollstuhls von 6 km/h zu langsam. Oft weigert sich die Krankenkasse, einen schnelleren Rollstuhl zu bezahlen.

Das Bundessozialgericht in Kassel entschied jetzt, dass der Versorgungsträger (in der Regel ist dies die Krankenkasse) die Kostenübernahme für einen besonders schnellen Elektrorollstuhl nicht komplett verweigern darf. Es muss zumindest der Preis für das 6 km/h-schnelle Grundmodell übernommen werden, der eventuell anfallende Aufpreis muss von der behinderten Person selbst bezahlt werden.

Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass ein schnellerer Rollstuhl zugleich die Eigenschaften eines langsameren Rollstuhls besitzt, der laut Vorschrift bezahlt werden muss.

(Quelle: Leben und Weg 6/2004)

 

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22.06.2004
BSG Kassel, Az.: B2 U 11/03 R
Ladestrom für Elektrorollstuhl als Leistung der gesetzlichen Unfallversicherung

Das Bundessozialgericht stellt in seinem Urteil vom 22. Juni 2004 fest, dass der Anspruch auf Versorgung mit einem Elektrorollstuhl als Hilfsmittel nach § 31 SGB VII auch die Versorgung mit dem zum Betrieb des Rollstuhls notwendigen Ladestrom umfasst.

Das Gericht weitet seine Rechtsprechung gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung auf die gesetzliche Unfallversicherung aus.

Rechtsgrundlage ist § 31 Abs. 1 SGB VII: Danach sind Hilfsmittel alle ärztlich verordneten Sachen, die den Erfolg der Heilbehandlung sichern oder die Folgen von Gesundheitsschäden mildern oder ausgleichen. Dazu gehören insbesondere Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel einschließlich der notwendigen Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie die Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel. Die Versorgung mit einem Hilfsmittel umfasst auch die Versorgung mit der Energie, die zur Nutzung des Hilfsmittels erforderlich ist.

Da es in der gesetzlichen Unfallversicherung keine Geringfügigkeitsgrenze gibt, findet die Argumentation der Beklagten, dass die geschätzten monatlichen Ladestromkosten nur rund drei Euro betragen, keine Berücksichtigung.

(Quelle: Leben und Weg 4/2005)

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13.05.2004
BSG Kassel, Az. B 3 P 5/03 R
Pflegekasse muss Einbau von Aufzug fördern

Die Pflegeversicherung muss einem Gehbehinderten einen Zuschuss für den Einbau eines Aufzugs im Rahmen der Wohnungsanpassung zahlen, wenn dieser ihm das selbstständige Verlassen des Hauses ermöglicht. Das entschied das Bundessozialgericht (BSG) jetzt in Kassel.

Ein Aufzug sei kein Luxus, wenn er die Situation des Behinderten verbessere und die Pflegeperson entlaste, führten die Richter des Bundessozialgerichts als Begründung ihres Urteils ins Feld. Unerheblich sei, dass der Aufzug auch von anderen Menschen genutzt werden könne. Außerdem sei ein Aufzug nicht unbedingt teurer als ein Treppenlift, den die Pflegekassen bisher bereits bezuschussten.

Quelle bzw. zitiert nach: CAREkonkret, 28. Mai 2004

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08.01.2004
LSG Nordrhein-Westfalen, Az. L 5 KR 241/02
Teure Prothese auch für Kassenpatienten

Nach einem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen haben auch gesetzlich Krankenversicherte Anspruch auf eine teure Prothese, wenn sie den Alltag der betroffenen Person erleichtert.

Im entschiedenen Fall ging es um eine 37jährige beinamputierte Frau. Sie klagte gegen den ablehnenden Bescheid ihrer Krankenkasse bezüglich der Übernahme der Kosten für eine sog. C-Leg-Prothese, die ein Gehen ohne Hinken ermöglicht. Die Kasse begründete dies mit dem im Vergleich mit einer herkömmlichen Prothese erheblich höheren Preis und führte aus, dass weder die berufliche noch die private Situation der Frau besondere Anforderungen an Standfestigkeit und Gangbild stelle.

Dem widersprach das Landessozialgericht und argumentierte im Sinne der Frau, dass die teure Prothese deutlich bequemer ist und der sportlichen und noch jungen Klägerin viele Gebrauchsvorteile bei ihren Aktivitäten bietet.

(Quelle: Leben und Weg, 1/2004)

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11.09.2002
LSG Berlin-Brandenburg, Az.: L 15 B 28/02 KR ER
Anspruch auf Zweitrollstuhl

Das Landessozialgericht Berlin hat am 11.09.2002 eine sehr positive einstweilige Verfügung erlassen: Es entschied, dass eine krankenversicherte Person bei vollständiger Bewegungsunfähigkeit einen Anspruch auch auf Ausstattung eines Zweitrollstuhls mit einem funktionsfähigen Elektroantrieb beziehungsweise der dafür notwendigen Steuerung hat.

Im konkreten Fall klagte eine Frau, die aufgrund einer stark fortschreitenden spinalen Muskelatrophie mittlerweile fast vollständig bewegungsunfähig ist, auf Ausstattung ihres Zweitrollstuhles mit einer Mini-Joystick-Steuerung. Die Kasse hatte dies mit der Begründung abgelehnt, dass der Klägerin unter anderem Assistentinnen zur Verfügung stünden, die alle geplanten Aktivitäten der Klägerin ermöglichen. Das Gericht sah dies anders. Es verpflichtete die Kasse im Wege der einstweiligen Anordnung zur Versorgung des Rollstuhls mit der gewünschten Steuerung. Aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin nur noch ihre Daumen bewegen könne und somit für jede geringste Richtungsänderung und das Zurücklegen kürzester Strecken auf fremde Hilfe angewiesen sei, gebiete dies das Gebot des Schutzes der Menschenwürde.

Quelle: www.sozialportal.de

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06.02.1997
BSG Kassel, Az. 3 RK 12/96
Krankenkasse muss Stromkosten zum Aufladen des E-Rollstuhls übernehmen

Neben den Anschaffungskosten für einen notwendigen Elektro-Rollstuhl muss die Krankenkasse auch die Kosten übernehmen, die beim bestimmungsgemäßen Gebrauch des Hilfsmittels anfallen – das heißt auch die Stromkosten, die beim Wiederaufladen des Akkus des Rollstuhls entstehen.

Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass in der Rechtsverordnung, auf die in § 34 Abs. 4 SGB V verwiesen wird und regelt, welche Heil- und Hilfsmittel bzw. welche Kosten der notwendigen Änderung, Instandsetzung, Ersatzbeschaffung und Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel von der Krankenkasse nicht übernommen werden, der Ladestrom für einen Rollstuhl unerwähnt bleibt.

Entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts als Vorinstanz spielt es keine Rolle, dass „Ladestrom“ (übrigens ebenso wie die Unterhaltskosten für einen Blindenführhund oder die Kosten für eine gesetzlich vorgeschriebene Haftpflichtversicherung bei Nutzung eines Elektrorollstuhls) kein „körperlicher Gegenstand“ ist.

Es spricht auch nicht gegen eine Erstattung der Stromkosten, dass Stromkosten praktisch in jedem Haushalt anfallen und somit Kosten der allgemeinen Lebenshaltung sind, rechtfertigt es nicht, die Klägerin mit den Stromkosten für den Elektrorollstuhl zu belasten.

Zur Ermittlung der Höhe der zu erstattenden Kosten schlägt das Gericht vor, dass die Krankenkasse entweder für die rollstuhlnutzende Person einen besonderen Stromanschluss mit eigenem Zähler installieren lässt, der nur zum Aufladen des Rollstuhlakkus dient, oder die durchschnittlichen monatlichen Kosten zu ermittelt, welche dann pauschal als Geldbetrag erstattet werden.

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Text: Martin Seidler, Referent für Öffentlichkeitsarbeit

inhaltliche Betreuung: Justitiar Marcus Lippe