Entscheidungen zum Thema „Behinderung und Lebensunterhalt“

Zusammenfassungen einiger Urteile und Entscheidungen, die für behinderte Menschen interessant sind

zum Thema Behinderung und Lebensunterhalt

 


01.06.2010
SG Detmold, Az.: S 2 SO 74/10
LSG Nordrhein-Westfalen, Az. L 12 SO 321/10 NZB (noch nicht entschieden)
Keine Kürzung des Regelsatzes im Falle eines Krankenhausaufenthalts

Das Sozialamt darf den monatlichen Regelsatz nicht kürzen, wenn der/die Leistungsberechtigte im Krankenhaus ist.

Im konkreten Fall kürzte die Sozialbehörde einer Frau die Grundsicherungsleistungen ohne schriftliche Begründung um rund ein Drittel. Ihr Widerspruch gegen diese Leistungsminderung wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Bedarf abweichend festgelegt werden kann, wenn dieser ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist: Da die Frau während des Krankenhausaufenthalts vollständig verpflegt worden sei, habe sie Kosten für die Ernährung eingespart.

Auf diese Begründung entgegnete die Frau, dass das Sozialamt nicht individuell ermittelt hat, welche Kosten durch den Krankenhausaufenthalt tatsächlich eingespart wurden. Eine pauschale Kürzung sei ihrer Meinung nach rechtswidrig.

Das Sozialgericht gab der Frau in ihrer Forderung nach dem ungekürzten Regelsatz Recht. In der Begründung heißt es sinngemäß, dass der Regelsatz eine Pauschale darstellt, bei der zu berücksichtigen ist, dass in besonderen Situationen (wie bei einem Krankenhausaufenthalt) geringeren Ausgaben in einem Bereich (hier: der Ernährung) höhere Ausgaben in einem anderen Bereich gegenüber stehen. Bei einem Krankenhausaufenthalt können dies Aufwendungen für neue Nachtwäsche, Bademantel, Hausschuhe etc. oder auch Kosen für die Nutzung von Telefon oder Fernseher sein.

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23.3.2010
BSG in Kassel, Az.: B 8 SO 17/09
Ausbildungsgeld wird nicht als Einkommen berücksichtigt

In einem Urteil hat das Bundessozialgericht entschieden, dass das Ausbildungsgeld, das im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für beh inderte Mens chen von der Bundesanstalt für Arbeit gezahlt wird, nicht als Einkommen gilt. Es wird deshalb nicht auf die Sozialhilfeleistung angerechnet. Auch das kostenlos zur Verfügung gestellte Mittagessen mindert den Sozialhilfeanspruch nicht.

Eine Berücksichtigung des Ausbildungsgelds als Einkommen würde vor diesem Hintergrund zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung gegenüber behinderten Menschen führen, die im Arbeitsbereich einer WfbM tätig sind und Werkstatteinkommen beziehen.

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03.02.2010
LSG Nordrhein-Westfalen, Az.: L 12 (20) SO 3/09
Bezug von Grundsicherungsleistungen während eines Auslandsaufenthalts

Auch bei einem längeren, aber zeitlich befristeten Auslandsaufenthalt müssen die Grundsicherungsleistungen weiter bezahlt werden. Bedingung hierfür ist, dass der sog. Lebensmittelpunkt bzw. der gewöhnliche Aufenthaltsort in Deutschland verbleibt.

Im konkreten Fall ging es um einen Mann, der Grundsicherungsleistungen im Alter bezog. Nachdem er dem Sozialamt mitteilte, dass er eine ca. 6wöchige Reise zu Verwandten nach Australien vorhabe, wurde ihm für diesen Zeitraum der Regelsatz zur Bestreitung des Lebensunterhalts verwehrt. (Die Unterkunftskosten kann der Mann mit seinem Renteneinkommen selbstständig finanzieren.)

Der Mann legte Widerspruch ein und begründete diesen damit, dass sein gewöhnlicher Aufenthaltsort im Bundesgebiet verbleibe. Da der Widerspruch mit Hinweis auf das Territorialitätsprinzip abgelehnt wurde, erhob der Mann Klage vor dem Sozialgericht. Er begründete diese damit, dass er seiner Ansicht nach auch während eines Auslandsaufenthalts Anspruch auf Deckung seines Lebensunterhalts habe. Der zuständige Richter gab der Klage statt und verurteilte das Sozialamt zur Zahlung des Regelsatzes während der Reise. Er ließ eine Revision nicht zu.

Mit einer Nichtzulassungsbeschwerde erzwang das Sozialamt ein Urteil des Landessozialgericht. Diese höhere Instanz bestätigte das Urteil des Sozialgerichts: Die Richter bestätigten, dass der vorübergehende Auslandsaufenthalt nichts daran ändert, dass der gewöhnliche Aufenthaltsort bzw. der Lebensmittelpunkt in Deutschland liegt. Anders als im bis zum 31.12.2004 geltenden Bundessozialhilfegesetz für den Bereich der Sozialhilfe ist der Anspruch auf Grundsicherung nicht an den tatsächlichen, sondern an den gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsempfängers geknüpft und besteht während einer Reise fort. Zuständig hierfür ist der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich der gewöhnliche Aufenthaltsort des Leistungsberechtigten liegt.

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29.09.2009
BSG in Kassel, Az. B 8 SO 13/08
Grundsicherungsleistungen: Für die Weitergewährung ist kein Folgeantrag erforderlich
/ Beiträge für „angemessene“ Versicherungen sind leistungserhöhend zu berücksichtigen

Das Bundessozialgericht entschied, dass die Weitergewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach Ablauf eines Bewilligungszeitraums keinen Folgeantrag voraussetzt.

Im konkreten Fall ging es um einen knapp 60jährigen schwerbehinderten Mann, der ab 1.1.2003 Grundsicherungsleistungen erhielt und erst im Oktober 2004 ausdrücklich einen (Folge-)Antrag auf Weiterzahlung der Leistung gestellt hat. Er klagte auf Grundsicherungsleistungen zwischen dem Ende des ersten Bewilligungszeitraums am 30.6.2003 und der erneuten Antragsstellung.

Das Gericht entschied, dass die Grundsicherungsleistungen im strittigen Zeitraum prinzipiell weiter zu gewähren sind, konnte jedoch im konkreten Fall wegen Unklarheiten bei der zu berücksichtigenden Miete und den zu berücksichtigenden Versicherungsbeiträgen die Höhe nicht ermitteln.

Zur Begründung führten die Richter aus, dass weder der Erstantrag auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt war, noch der befristete Bewilligungsbescheid eine Weiterbewilligung ausschließt. Auch sei die Bewilligung nicht aufgehoben worden.

Aus den Vorschriften, deren Systematik und Entstehungsgeschichte sowie insbesondere der Sinn und Zweck der Regelungen zur Antragstellung im Grundsicherungsgesetz als Vorläufer der heutigen gesetzlichen Grundlage ergebe sich, dass die Grundsicherung im Unterschied zur Sozialhilfe eine nicht nur vorübergehende Form zur Sicherung des Lebensunterhalts darstellt und davon ausgeht, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse bei dem Grundsicherungsberechtigten in der Regel für längere Zeit unverändert bleiben. Deshalb gilt der einmal gestellte Antrag auf Grundsicherungsleistungen auch über den Bewilligungszeitraum hinaus fort. Der Bewilligungszeitraum sei nur deshalb jeweils bis zum 30.6. begrenzt, um bei dem neuen Bescheid die jährlichen Rentenanpassungen berücksichtigen zu können. Eine Mitwirkungspflicht des Hilfeempfängers war nach der Intention des Grundsicherungsgesetzes nur bei der Meldung von Veränderungen seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse vorgesehen.

Zur Frage der Berücksichtigbarkeit von Versicherungsbeiträgen bei der Höhe der zu bewilligenden Grundsicherungsleistungen heißt es im vorliegenden Urteil, dass Beiträge dann als leistungserhöhend berücksichtigt werden, wenn mehr als 50 % der Haushalte mit einem Einkommen knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze eine entsprechende Versicherung abgeschlossen haben. Es können aber auch besondere Umstände des Einzelfalls vorliegen, aufgrund derer auch andere Beiträge für private Versicherungen zu übernehmen sind: So können spezifische gesundheitliche Verhältnisse auch eine private Krankenversicherung angemessen erscheinen lassen.

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19.05.2009
BSG in Kassel, Az. B 8 SO 8/08 R
Keine Leistungskürzung durch Änderung des Status der Erwerbsfähigkeit

Leben zwei Personen zusammen, die gemäß dem SGB II keine Bedarfsgemeinschaft bildeten und jeweils den vollen Regelsatz erhielten, darf sich an der Leistungshöhe nichts ändern, wenn eine der beiden Personen zur Empfängerin von Grundsicherungsleistungen wird.

Im konkreten Fall ging es um eine Frau, die mit ihrem erwachsenen Sohn zusammenlebt. Beide bekamen als Arbeitssuchende den vollen Regelsatz nach SGB II. Nach Vollendung des 65. Lebensjahrs kürzte das Sozialamt die ihr ab diesem Zeitpunkt zustehende Grundsicherungsleistung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit auf 80 % des Regelsatzes mit der Begründung, sie führe mit ihrem Sohn einen gemeinsamen Haushalt.

Die Richter argumentierten, dass die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II bzw. einer Einsatzgemeinschaft im Sinne des SGB XII mit einer Ersparnis auf Grundlage des gemeinsamen Wirtschaftens zusammenhänge, nicht jedoch mit der Tatsache, ob eine Person erwerbsfähig oder erwerbsunfähig sei. Unter Gleichheitsgesichtspunkten (Art 3 GG) ist es deshalb nicht gerechtfertigt, die Rentnerin sozialhilferechtlich schlechter zu stellen als zuvor im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Nach beiden Gesetzen ist sie als Alleinstehende und im SGB XII als Haushaltsvorstand zu behandeln. Eine Reduzierung des Regelsatzes auf 80 % ist nicht gerechtfertigt.

Über 25jährige erhalten vollen Regelsatz

Da ein erwerbsfähiges Kind über 25 Jahre den vollen Regelsatz auch dann erhält, wenn es im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils lebt, steht dieser Betrag auch Erwerbsgeminderten bzw. Erwerbsunfähigen in dieser Situation zu.

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27.04.2009
LSG Nordrhein-Westfalen, Az.: L 20 SO 99/07
Weiterleitung des Kindergelds an das Kind auch bei Sozialhilfebedürftigkeit der Mutter zulässig

Eine Person, die zum Bezug von Kindergeld für ihr volljähriges Kind berechtigt ist, kann  bzw. muss diese Leistung in bestimmten Fällen auch dann an ihr Kind weiterleiten, wenn sich dadurch ihr Sozialhilfeanspruch erhöht.

Zu der Entscheidung kam es, weil der Sozialhilfeträger das Kindergeld, das eine Frau an ihren volljährigen Sohn weiterleitete, trotzdem als Einnahme der Mutter ansah und deren Grundsicherungsleistungen entsprechend kürzte. Der Leistungsträger vertrat die Auffassung, eine Weiterleitung des für den volljährigen Sohn geleisteten Kindergeldes sei grundsätzlich nicht zulässig, solange bei ihr ein sozialhilferechtlicher Bedarf bestehe.

Auf die Klage der Frau vor dem Sozialgericht hin schloss sich der dortige Richter der Argumentation des Sozialhilfeträgers an und wies ihren Widerspruch gegen die Kürzung der Grundsicherungsleistungen ab.

Anders das Landessozialgericht: Es verurteilte den Sozialhilfeträger zur Zahlung der ungekürzten Grundsicherungsleistungen und argumentierte mit der Einkommenssituation des Sohnes und der Unterhaltsverpflichtung seiner Mutter: Auf Grund seiner prekären finanziellen Situation hätte der Sohn das Recht gehabt, einen Abzweigungsantrag zu stellen, d. h. zu verlangen, dass das Kindergeld direkt an ihn ausgezahlt wird. Da der Grundsatz gilt, dass das Kindergeld immer als Einkommen der Person gilt, an die es ausgezahlt wird, wäre in diesem Fall klar gewesen, dass das Kindergeld nicht als Einkommen der Mutter zu werten ist (obwohl sie die anspruchsberechtigte Person ist). Zu einem (offiziellen) Abzweigungsantrag hat der Sohn aber keine Veranlassung gesehen, da er das Geld zeitnah weitergeleitet bekommen hat. Es wäre nach Auffassung des Gerichts sinnwidrig, das Kindergeld nur deshalb als Einkommen der Mutter zu berücksichtigen, weil der formale Antrag nicht gestellt wurde.

Bei all dem spielt es keine Rolle, ob das Kind einen eigenen Haushalt führt, oder – wie im vorliegenden Fall – mit dem kindergeldberechtigten Elternteil gemeinsam in einem Haushalt lebt.

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26.08.2008
BSG in Kassel, Az.: B 8/9b SO 18/07 R
Finanzierung einer Haushaltshilfe auch bei ALG II-Bezug (und ohne weiteren Hilfebedarf)

Auch eine Person, die Arbeitslosengeld II auf der Grundlage von §§ 19 ff. SGB II erhält, hat Anspruch auf Leistungen nach SGB XII; ausgeschlossen ist nur die Hilfe zum Lebensunterhalt. Im vorliegenden Fall ging es um die Übernahme der Kosten für eine erforderliche Haushaltshilfe durch den örtlichen Sozialhilfeträger.

Zu der höchstrichterlichen Entscheidung kam es, weil die betreffende Kommunalverwaltung den Standpunkt vertrat, Leistungen nach dem SGB II und Leistungen nach dem SGB XII schlössen sich gegenseitig aus.

Schon das zunächst angerufene Sozialgericht verurteilte das Sozialamt dazu, die strittigen Kosten für die Haushaltshilfe nach § 61 SGB XII zu übernehmen. In diesem Zusammenhang spiele es weder eine Rolle, dass die Klägerin Leistungen nach dem SGB II bezieht, noch tue es etwas zur Sache, dass neben dem Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung kein Bedarf im Bereich der Grundpflege besteht.

Die Kommunalverwaltung begründete ihre Revision mit Letztgenannten, d. h. damit, dass ein messbarer Grundpflegebedarf Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen zur hauswirtschaftlichen Versorgung sei.

Das im Wege einer Sprungrevision direkt angerufene Bundesgericht stützte das Urteil des Sozialgerichts und stellte klar, dass mit Vorliegen eines Hilfebedarfs in Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung bereits die Anspruchsgrundlage für Hilfe zur Pflege gegeben ist.

Eine weitere Klarstellung betrifft die Tatsache, dass ein Antrag ab dem Datum als gestellt gilt, zu dem er irgendeinen Leistungsträger erreicht – sei er zuständig oder nicht.

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26.08.2008
BSG in Kassel, Az.: B 8/9b SO 16/07 R
Keine Anrechnung des Kindergelds als Einkommen des Kindes ohne gestellten Abzweigungsantrag

Bei volljährigen Kindern zählt das Kindergeld als Einkommen des Elternteils, der diese Leistung bezieht. Wenn das Kind keinen Abzweigungsantrag gestellt hat, d. h. beantragt hat, dass das Kindergeld an sich weitergeleitet wird, darf es bei der Berechnung des Unterhaltsanspruchs des Kindes nicht angerechnet werden.

Im Fall, welcher der Entscheidung zu Grunde lag, ging es um einen erwachsenen Mann, der im Rahmen des betreuten Wohnens in einer eigenen Wohnung lebt und in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeitet. Bei der Berechnung seiner Grundsicherungsleistung wurde das für ihn gezahlte Kindergeld als leistungsmindernd angerechnet.

Schon das Sozialgericht Duisburg als erste Instanz hatte den Sozialhilfeträger dazu verurteilt, die Grundsicherungsleistung um 154 Euro (= Höhe des Kindergelds) aufzustocken. Das Landessozialgericht NRW kam zu dem gleichen Ergebnis, und begründete dies damit, dass das Kindergeld kein Einkommen des Kindes ist, sondern dem Familienlastenausgleich diene. Ob dies im Falle eines Abzweigungsantrags anders sei, brauche nicht entschieden zu werden, da ein solcher Fall nicht vorliege.

Der Sozialhilfeträger beantragte eine Revision des Urteils und begründete dies mit der Nachrangigkeit der Sozialhilfe. Sinngemäß argumentierte die Behörde, dass die gesetzliche Möglichkeit, dass das Kind einen Abzweigungsantrag stellt, wahrgenommen werden müsse, um die Sozialhilfekosten zu senken. Zudem bestehe kein Grund, das Kindergeld als Familienlastenausgleich anzusehen, da das Kind in einer eigenen Wohnung lebt und den Eltern jeglicher Aufwand für das Kind fehle.

Das Bundessozialgericht bestätigte jedoch die Urteile der Vorinstanzen, dass das Kindergeld nicht als Einkommen des Kindes berücksichtigt werden darf. Es wies den Fall jedoch an das Landessozialgericht zurück, da die Anspruchsvoraussetzungen für die Grundsicherungsleistungen nicht hinreichend festgestellt worden waren.

In der Begründung heißt es u. a., dass die Person, für die Kindergeld gezahlt wird, rechtlich nicht verpflichtet ist, einen Abzweigungsantrag zu stellen – selbst wenn dadurch die Höhe des Sozialhilfeanspruchs gesenkt würde (was im vorliegenden Fall sowieso nicht so wäre).

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21.02.2008
LSG Berlin-Brandenburg, Az.: L 23 SO 269/06
Ausbildungsgeld ist kein anrechenbares Einkommen

Das Ausbildungsgeld, das ein behinderter Mensch während der Berufserprobungsphase in einer Werkstatt für behinderte Menschen erhält, zählt nicht als Einkommen und darf nicht auf die Grundsicherungsleistung angerechnet werden.

Geklagt hatte ein Mann dagegen, dass der Sozialhilfeträger ihm sowohl das Kindergeld als auch sein Ausbildungsentgelt als leistungsmindernd auf die Grundsicherungsleistung anrechnete. Er legte jedoch erst gegen den Bescheid Widerspruch ein, der erging, als das Ausbildungsentgelt erhöht und somit die Grundsicherungsleistung gesenkt wurde.

Das Sozialgericht entschied bezüglich des Ausbildungsgelds zu Gunsten des behinderten Mannes und begründete dies damit, dass diesem Betrag zweckgerichtet die Funktion einer Prämie für die Teilnahme an einem in einer Werkstatt für Behinderte durchgeführten Arbeitstraining zukomme bzw. einem anderen Zweck diene als die Sozialhilfe und somit nicht auf die Grundsicherungsleistung angerechnet werden darf. Gegen dieses Urteil legte der Sozialhilfeträger Berufung ein: Das Ausbildungsgeld werde nur dann zu 50% nicht angerechnet, wenn es um die Kosten zur dauerhaften Unterbringung geht.

Die Richter am Landessozialgericht konstatierte, dass eine Einkunft dann sozialhilferechtlich nicht angerechnet wird, wenn sie aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften gewährt wird, und der Zweck dieser Leistung, der ausdrücklich genannt sein muss, nicht identisch ist mit dem, wofür andere Leistungen bezogen werden. Da das erste Kriterium beim Ausbildungsgeld nicht in Frage steht, beschäftigte sich das Gericht mit seiner Zweckbestimmung: Diesbezüglich wurde klargestellt, dass es sich beim Ausbildungsgeld der gesetzlichen Konzeption nach um eine zusätzliche Leistung, die auf eine Erhöhung der für den persönlichen Bedarf tatsächlich zur Verfügung stehenden Finanzmittel gerichtet ist, um die besonderen Aufwendungen im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer Maßnahme im Eingangs- oder Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen zu decken und hierdurch die Durchführung dieser Maßnahme zu fördern. Somit darf es nicht auf die Grundsicherungsleistung angerechnet werden.

Eine Nachzahlung der zu wenig bezahlten Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum, bevor der „Fehler“ „beanstandet“ wurde, lehnte das Gericht allerdings ab.

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07.01.2008
SG Düsseldorf, Az.: S 29 SO 49/06
Beiträge für Haftpflicht- und Hausratsversicherung werden bei der Berechnung von ergänzenden Sozialhilfeleistungen berücksichtigt

Ist eine Person darauf angewiesen, ergänzend zum eigenen Einkommen Sozialhilfeleistungen zu beziehen, so müssen bei der Berechnung der staatlichen Transferleistungen Beiträge für Hausrats- und Haftpflichtversicherung in einem angemessenen Umfang berücksichtigt werden. Das heißt, dass die Sozialhilfeleistung um bis zu 6,67 EUR monatlich erhöht wird, wenn die betroffene Person über eine Hausratsversicherung verfügt (das entspricht einem Jahresversicherungsbeitrag von 80 EUR), bzw. um bis zu 4,58 EUR monatlich (dies entspricht 55 EUR jährlich) wenn eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen wurde.

Die angegebenen Höchstbeträge für die Absetzbarkeit ergeben sich durch aktuelle Preisvergleiche.

Im konkreten Fall geht es um eine Rentnerin, die mit ihrem schwerbehinderten Ehemann zusammenlebt und ergänzend zu ihrer Altersrente auf Leistungen der Grundsicherung erhält. Sie klagte, weil weder Haftpflicht- noch Hausratsversicherung bei der Berechnung der Leistung berücksichtigt wurde.

Der Richter begründete seine Entscheidung damit, dass auch Bezieher geringer Einkommen Risiken abzusichern pflegen, bei deren Eintritt ihre Lebensführung außerordentlich belastet wäre. Diese Versicherungen seien „angemessen“, weil sie im ähnlichen Maße notwendig wie gesetzlich vorgeschriebene Sozialversicherungen, weit verbreitet und allgemein üblich sind – insbesondere die Haftpflichtversicherung als am häufigsten von Privathaushalten in Deutschland abgeschlossene Versicherung – und von fast allen Volljährigen mit eigenem Haushalt sowie eigenem Einkommen abgeschlossen wird, selbst wenn ihr Einkommen nur knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze liegt.

Es wird betont, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Übernahme der Versicherungsbeiträge als Bedarf bei der Leistungsgewährung geht, „ sondern um die Frage, ob es den Leistungsbeziehern zugestanden wird, aus ihrem eigenen Einkommen (hier: Renteneinkommen) gewisse Ausgaben eigenverantwortlich und aufgrund freier Entscheidung unabhängig von den Einschränkungen ihrer Entscheidungsfreiheit, die sich aus dem Bezug von Sozialleistungen ergeben, zu tätigen.“ Hierbei spiele der Begriff der „Angemessenheit“ (s. o.) eine Rolle, der auf den wirtschaftlich sinnvollen Umgang mit finanziellen Ressourcen Bezug nimmt.

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11.12.2007
BSG in Kassel, Az.: B 8/9b SO 12/06 R
Übernahme der Kosten für eine Haushaltshilfe bei behinderten ALG II-EmpfängerInnen

Die Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (für Erwerbsfähige) und dem SGB XII (für Erwerbsunfähige) decken sich weitgehend. Bei der Konstruktion des SGB II wurden jedoch Erwerbsfähige mit einem behinderungsbedingten Mehrbedarf „vergessen“.

Trotz eines anderslautenden erstinstanzlichen Urteils lehnten die obersten Richter die beantragte Kostenübernahme für eine Haushaltshilfe ab. Geklagt hatte eine erwerbsfähige behinderte Frau übernommen werden, die nicht pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes ist, und vor Einführung von SGB II und XII als Sozialhilfeempfängerin eine Haushaltshilfe finanziert bekam.

Weder Hilfe zur Pflege (§§ 61ff. SGB XII), noch Hilfe zur Weiterführung des Haushalts (§ 70 SGB XII) oder Hilfe in sonstigen Lebenslagen (§ 73 SGB XII) kommen als Finanzierungsgrundlage im betreffenden Fall in Frage. Eine individuell notwendige Aufstockung des ALG II-Regelsatzes sei gesetzlich nicht vorgesehen, so das Urteil.

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11.12.2007
BSG in Kassel, Az.: B 8/9b SO 23/06 R
Bei Weiterleitung des Kindergeldes wird es nicht auf Sozialleistungen des Elternteils angerechnet, der diesen Betrag überwiesen bekommt

In der Regel gilt das Kindergeld, dass die Eltern für über 18jährige Kinder erhalten, als Einkommen der Eltern und wird ihnen beim Bezug von Sozialleistungen als solches angerechnet.

Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom Dezember 2007 entschieden, dass das Kindergeld jedoch dann nicht als Einkommen der Eltern bzw. des Elternteils, an den es überwiesen wird, anzurechnen ist, wenn es vollständig und zeitnah an das betreffende volljährige Kind weitergegeben wird und damit die gesetzliche Unterhaltspflicht erfüllt wird. Eine weitere Bedingung ist, dass das Kind nicht (mehr) im gleichen Haushalt mit dem Elternteil lebt, an den die Leistung ausgezahlt wird.

In dem Fall, der zu entscheiden war, ging es um eine Frau, die Grundsicherungsleistungen bezieht. Bei der Berechnung der Höhe zog das Sozialamt das Kindergeld ab, das sie für ihren Sohn erhält.

Abgesehen davon, dass nicht ganz klar war, ob das Kindergeld tatsächlich in voller Höhe an ihr volljähriges und nicht in einer Haushaltsgemeinschaft mit ihr lebendes Kind weitergeleitet wird, entschied das Gericht, dass das an die Klägerin ausgezahlte Kindergeld nicht als Einkommen zu berücksichtigen ist, wenn die oben genannte Bedingung erfüllt ist. Der Betrag muss das Kind „zeitnah“ erreichen, was definiert wird als „innerhalb eines Monats nach Auszahlung bzw. Überweisung des Kindergeldes“.

Bei dieser Weiterleitung spielt es keine Rolle, ob sie freiwillig erfolgt oder gerichtlich angeordnet wurde.

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05.12.2007
LSG Berlin-Brandenburg, Az.: L 28 B 2089/07 AS ER
ARGE als Träger von ALG II muss (vorübergehend) die kompletten Unterkunftskosten übernehmen

Im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende müssen – zumindest vorübergehend – die tatsächlichen Miet- und Heizkosten übernommen werden, auch wenn diese überhöht sind.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg fällte diesen Beschluss im Falle eines 3-Personen-Haushalts, dem als Unterkunftskosten nur der Betrag bewilligt wurde, welcher für diese Haushaltsgröße als angemessen gilt. Konkret ging es dabei um eine Differenz von über 200 EUR pro Monat.

Wie lange die tatsächlichen Mietkosten übernommen werden, ist von umgehenden und nachzuweisenden Kostensenkungsbemühungen abhängig bzw. davon, ob ein Wohnungswechsel individuell möglich und zumutbar ist. Zur Klärung gesundheitsbedingter bzw. behinderungsbedingter Umzugshindernisse können ggf. amtsärztliche oder gutachterliche Stellungnahmen herangezogen werden.

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16.10.2007
BSG in Kassel, Az.: B8/9b SO 8/06 R
Fehlerhafte Berechnung von Grundsicherungsleistungen

Wurde die Höhe der Leistung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung fehlerhaft berechnet, weil ein Betrag fälschlicherweise angerechnet wurde, so muss die Differenz zwischen gezahlter Leistung und Leistungsanspruch rückwirkend beglichen werden.

In einer Sprungrevision entschied das Bundessozialgericht im Fall zweier erwerbsunfähiger Brüder, die Leistungen der Grundsicherung erhalten. Bei der Berechnung dieser Leistung wurde fälschlicherweise das Kindergeld berücksichtigt. (Das Kindergeld für Volljährige zählt jedoch als Einkommen der Eltern.)

Trotz des Grundsatzes „Keine Sozialhilfe für die Vergangenheit“ entschieden die Richter, dass § 44 SGB X – er besagt, dass ein rechtswidriger Verwaltungsakt zuungunsten der betroffenen Person zurückgenommen werden muss und die zu wenig erbrachten Leistungen für bis zu vier Jahre nachgezahlt werden müssen – für alle Sozialleistungsbereiche der Sozialgesetzbücher gilt. Hiervon ist das SGB XII nicht ausgeschlossen, dass das ehemalige BSHG und das ehemalige Grundsicherungsgesetz beinhaltet.

Den konkreten Fall verwies das Bundessozialgericht zur genauen Abklärung der Vermögensverhältnisse zurück an das zuständige Sozialgericht.

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16.10.2007
BSG in Kassel, Az. B 8/9b SO 2/06 R
Bei so genannten „gemischten Bedarfsgemeinschaften“: 90 Prozent des Regelsatzes für jeden

Leben zwei Partner in einer Bedarfsgemeinschaft zusammen, hat jede Person einen Unterhaltsanspruch von jeweils 90 Prozent des Eckregelsatzes von ihrem jeweiligen Leistungsträger.

Das Bundessozialgericht entschied im Fall einer so genannten gemischten Bedarfsgemeinschaft, bei welcher der Mann Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII und die Frau Anspruch auf Arbeitslosengeld II nach dem SGB II hat.*

Der Träger des Alg II bewilligte der Frau als Haushaltsangehörige 90 Prozent der Regelleistung, das Sozialamt dem Mann nur 80 Prozent der Regelleistung. Daraufhin klagte der Mann auf eine zehnprozentige höhere Leistung.

Das Sozialamt rechtfertigte die Höhe der Leistung damit, dass der Mann Angehöriger einer Bedarfsgemeinschaft ist, bei der die Frau Anspruch auf den vollen Eckregelsatz hat. Alternativ dazu habe der Mann einen Anspruch auf Sozialgeld in Höhe von 10% des Regelsatzes von der ArGe als Träger des ALG II.

Das Bundessozialgericht stellte eine Regelungslücke fest. Beim Ausschluss möglicher Anspruchsgrundlagen, um die Ungerechtigkeit gegenüber einer „reinen Bedarfsgemeinschaft“ auszugleichen und um im Ergebnis dazu zu kommen, dass beide Personen zusammen 180% des Regelsatzes erhalten, verwarf das Gericht einen Anspruch auf Sozialgeld. Es entschied, dass im vorliegenden Fall der Sozialhilfeträger als Träger der Grundsicherungsleistung der richtige Ansprechpartner ist. Vorbehaltlich einer Klärung der Vermögensverhältnisse müsse er für die fehlenden 10% des Regelsatzes aufkommen.

Ohne Bedeutung sei dabei, wer Haushaltsvorstand und wer Haushaltsangehöriger ist.
*) Leben zwei Personen zusammen, die beide Anspruch auf Alg II haben, so erhalten beide Personen 90% des Regelsatzes; haben beide Anspruch auf Grundsicherungsleistungen, so erhält die eine Person als Haushaltsvorstand 100%, die andere als Haushaltsangehörige 80% des Regelsatzes. [zurück]

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15.10.2007
OLG Koblenz, Az: 7 WF 888/079
Grundsicherung ist kein Einkommen

In einer grundlegenden Entscheidung hat das Oberlandesgericht Koblenz klargestellt, dass die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit als staatliche Transferleistung nicht als Einkommen gilt.

Im Fall, welcher der Entscheidung zu Grunde lag, ging es um einen Antrag auf Prozesskostenhilfe: Das Amtsgericht hatte diese abgelehnt und den Antragssteller verpflichtet, die Prozesskosten aus eigenem Vermögen oder Einkommen aufzubringen, wobei die Leistungen der Grundsicherung als Einkommen gewertet wurden. Das Oberlandesgericht stellte jedoch fest, dass es widersinnig sei, zwei staatliche Transferleistungen – die Prozesskostenhilfe als eine Art Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege und die Grundsicherung – gegeneinander aufzurechnen. Darum habe der Mann Anspruch auf eine ratenfreie Bewilligung von Prozeskostenhilfe.

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22.06.2007
LSG Nordrhein-Westfalen, Az.: L 1 B 7/07 AS ER
Gesundheitsbezogene Leistungen im Rahmen der Sozialhilfe

In atypischen Bedarfslagen können gesundheitlich notwendige Mehraufwendungen als Hilfe in besonderen Lebenslagen (§ 73 SGB XII) bewilligt werden.

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hatte über die Klage einer erwerbslosen Frau zu entscheiden, die sich seit vielen Jahren wegen eines schweren Atopie-Syndromes mit Asthma bronchiale und generalisierter Neurodermitis in ständiger ärztlicher Behandlung befindet und krankheitsbedingte Ausgaben hat für medizinisch notwendige Medikamente und Hautpflegeprodukte, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden (Salben und Bäder) sowie einen erhöhten Strom- und Waschmittelverbrauch. Bis zum 31.12.2004 bekam sie deshalb einen Betrag von monatlich 150 Euro als Mehrbedarf zusätzlich zum Sozialhilferegelsatz nach dem BSHG.

Als erwerbsfähige Person bezieht die Klägerin seit 2005 Leistungen nach dem SGB II, das – anders als das SGB XII – keine Regelungen für eine Erhöhung des Regelsatzes bzw. für einen Mehrbedarf enthält. Auch § 48 SGB XII (Hilfe bei Krankheit) scheidet als Rechtsgrundlage zur Erstattung dieser Ausgaben aus, weil die Leistungen, die auf Grundlage dieses Paragrafen erbracht werden, den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen.

Als „Ausweg“ verwiesen die Richter in dieser besonderen Bedarfslage auf den oben erwähnten § 73 SGB XII, um der Notlage der erkrankten Frau abzuhelfen. Sie machten aber deutlich, dass dieser Paragraf nicht zur allgemeinen Auffangnorm für SGB II-Leistungsempfänger werden soll.

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29.05.2007
SG Köln, Az.: S 21 SO 271/06
Nachzahlung von Grundsicherungsleistungen aufgrund von fehlerhafter Beratung

Erhält eine grundsicherungsberechtigte Person „nur“ Hilfe zum Lebensunterhalt und ist die daraus resultierende Leistung aufgrund von angerechneten Geldbeträgen geringer als es die Grundsicherung wäre, so kann ihr der Differenzbetrag nachgezahlt werden.

Im konkreten Fall ging es um eine körperlich und geistig behinderte Frau, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt ist und demnach zum Bezug der Grundsicherungsleistung berechtigt ist.

Seit 1980 bezog sie Hilfe zum Lebensunterhalt, auf die das Kindergeld angerechnet wurde.

Im Dezember 2002 beauftragte sie ihre Betreuerin einen schriftlichen „Antrag auf Sozialhilfe“ gestellt (und nicht, wie intendiert, einen Antrag auf Grundsicherung). Die Frau bekam weiterhin die um die Höhe des Kindergelds gekürzte Hilfe zum Lebensunterhalt und nicht die Grundsicherung, auf die das Kindergeld nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht angerechnet wird. Erst ab 1. September 2005 wurde die Leistung umgestellt.

Auf die Klage der behinderten Frau hin verurteilten die Richter den Sozialhilfeträger, ihr einen Betrag in Höhe des Kindergeldes für den Zeitraum von 1.1.2003 bis 31.8.2005 nachzuzahlen. Begründet wurde das Urteil folgendermaßen: Da die dauerhafte Erwerbsminderung der Klägerin bekannt war, hätte der im Dezember 2002 gestellte Antrag auf Sozialhilfe auch als Antrag auf Grundsicherung gedeutet werden können. In Anbetracht der Tatsache, dass Grundsicherungsleistungen hätten beantragt werden müssen, sei das Sozialamt seinen umfassenden Beratungs- und Informationspflichten unzureichend nachgekommen – es sei gehalten gewesen, der Klägerin das richtige Antragsformular zur Unterschrift vorzulegen.

Wichtig ist auch, dass es sich um eine Nachzahlung von Grundsicherungsleistungen handele, da aufgrund von Bedarfsdeckungsgrundsatz und Gegenwärtigkeitsprinzip eine Nachzahlung von Sozialhilfe ausgeschlossen ist.

(Quelle: Rechtsdienst der Lebenshilfe 4/2007)

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01.03.2007
Bayer. LSG, Az.: L 11 B 50/07 SO ER
Zuständigkeitsstreit zwischen zwei Leistungsträgern

Bei Umzug eines sozialhilfeabhängigen bzw. assistenzbedürftigen Menschen gibt es in der Übergangszeit oft Probleme mit dem Bezug der Leistungen: Entweder werden die Unterlagen nicht rechtzeitig von einem zum anderen Leistungsträger weitergeleitet oder der Leistungsträger am neuen Wohnort weigert sich zu zahlen.

In einem Beschluss vom 01.03.2007 hat das Bayerischen Landessozialgericht entschieden, dass der bisherige Leistungsträger bis zur endgültigen Klärung der Zuständigkeit (als erstangegangener Leistungsträger) weiter zahlen muss und sich ggf. die Kosten vom letztendlich zuständigen Träger erstatten lassen kann. Einer auf Sozialhilfeleistungen angewiesenen Person sei es nicht zuzumuten zu warten, bis die endgültige Zuständigkeit geklärt ist.

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04.12.2006
Schleswig-Holsteinisches LSG, Az.: L 9 SO 3/06
Bestattungsvorvertrag ist Schonvermögen

In einem Rechtsstreit vor dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht ging es um die Frage, ob das Geld, welches zweckgebunden für einen Bestattungsvorvertrag angelegt wurde, zum Vermögen zählt und im Falle der Pflegebedürftigkeit aufgebraucht werden muss, bevor ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht.

Die Richter entschieden in einem Urteil vom 04.12.2006, dass das angesparte Geld, mit dem im Falle des Todes alle anfallenden Kosten gedeckt werden sollen, dem Bezug von Sozialhilfeleistungen unter zwei Bedingungen nicht entgegensteht: Es darf keine Möglichkeit bestehen, auf das Geld zuzugreifen (was bei einem Bestattungsvorvertrag der Fall ist) und der Betrag muss angemessen sein. Im konkreten Fall hielt die Kammer einen Bestattungsvorvertrag in Höhe von 9.019,00 DM (= 4.611,34 Euro) für (noch) angemessen.

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14.11.2006 / 05.02.2007
Hessisches LSG, Az.: L 9 SO 62/06 ER bzw. Az.: L 7 AS 241/06 ER
Mehrbedarf bei Diabetes Mellitus für kostenaufwändige Ernährung

In zwei Verfahren setzte sich das Hessische Landessozialgericht mit der Frage auseinander, ob bei Diabetes Mellitus eine Erhöhung des Sozialhilfe-Regelsatzes geboten ist.

Die Richter kamen zu einem sehr differenzierten Ergebnis:

  • Im Falle von Diabetes Mellitus Typ 2a (Alterszuckerkrankheit bei nicht übergewichtigen Personen) sahen sie die Notwendigkeit eines Mehrbedarfs für gegeben an, da diese Art eine spezielle „Diabetes-Kost“ erfordert.
  • Im Falle von Diabetes Mellitus Typ 2b (Alterszuckerkrankheit bei eher übergewichtigen Personen) verneinten die Richter einen Anspruch auf einen zusätzlichen Betrag zur Finanzierung einer speziellen Ernährung – in diesem Falle reiche Reduktionskost, die keinen erhöhten Kostenaufwand zur Folge habe.

(Quelle: Rechtsdienst der Lebenshilfe 2/2007)

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20.06.2006
BVerfG in Karlsruhe, Az: 1 BvR 2673/05
Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit von Mittellosen

Prozesskostenhilfe ist – vereinfacht definiert – dafür da, dass auch diejenigen ihr Recht einklagen können, welche die Prozesskosten und ggf. die Anwaltskosten nicht finanzieren können. Ein Kriterium, an dem die Gewährung von Prozesskostenhilfe festgemacht wird, ist die Erfolgsaussicht des Rechtsstreits.

Dieses Kriterium kritisierte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 20.06.2006 als Verletzung der Rechtsschutzgleichheit: Hier werde eine inhaltliche Wertung des Sachverhalts, die bei finanziell Bemittelten erst im eigentlichen Verfahren vorgenommen wird, bei Minderbemittelten in die Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe vorverlagert. Dies sei eine Überlastung und Zweckentfremdung des Prozesskostenhilfeverfahrens. Stattdessen muss das Gericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe von Schwierigkeit und Umfang der Angelegenheit abhängig machen und erwägen, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte.

Im konkreten Fall ging es um einen Mann, der sich – entgegen der vorherrschenden Meinung – einen Mehrbedarfszuschlag bei Diabetes mellitus erstreiten wollte. Er benötigte Prozesskostenhilfe zur Finanzierung eins Sachverständigen.

(Quelle: Rechtsdienst der Lebenshilfe 2/2007)

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14.03.2006
Hess. LSG, Az.: L 7 SO 4/06 ER
Kosten für Gartenpflege müssen bei schwerstbehinderten SozialhilfeempfängerInnen im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt ersetzt werden

In dem vom hessischen Landessozialgericht zu entscheidenden Fall vom 14.03.06 war eine Empfängerin von Hilfe zum Lebensunterhalt durch eine Vereinbarung im Mietvertrag für die Gartenpflege verantwortlich. Da sie auf Grund ihrer Behinderung hierzu nicht selbst in der Lage war, hatte sie eine Firma mit den Gartenarbeiten beauftragt und verlangte jetzt die Erstattung der dadurch entstandenen Kosten. Das Landessozialgericht ordnete die Verpflichtung der Gartenpflege den Unterkunftskosten zu, da es sich um Nebenkosten handelt – dies ergibt daraus, dass es sich bei Kosten der Gartenpflege um umlagefähige Betriebskosten handelt, die üblicherweise auf alle Mieter umgelegt werden können. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Vermieterin der Wohnung die Kosten der Gartenpflege nicht unmittelbar auf die Antragstellerin umgelegt hat, sondern dieser im Mietvertrag auferlegt hat, selbst die Pflege des Gartens vorzunehmen oder vornehmen zu lassen.

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23.02.2006
SG Reutlingen, Az.: S 3 KR 3033/04
Sozialhilfe muss für Mehrbedarf an Fahrtkosten aufkommen

Da die Krankenkasse nur dann für die Finanzierung von Fahrten zu ambulanten Behandlungen zuständig ist, wenn selbst die Bewältigung kürzester Strecken nicht mehr möglich ist, hat das Sozialgericht Reutlingen einen Sozialhilfeträger dazu verurteilt, den Regelsatz entsprechend zu erhöhen.

Im konkreten Fall ging es um einen Mann, dem das Versorgungsamt aufgrund seiner HIV-Infektion, von Hepatitis C und von Beeinträchtigungen an der Lendenwirbelsäule einem Grad der Behinderung von 90 zuerkannt hat. Er macht eine Substitutions-Behandlung und muss dafür fast täglich die sehr steigungsreiche Strecke von seiner Wohnung ins einige Kilometer entfernte Stadtzentrum überwinden. Obwohl der Patient trotz seiner Rückenbeschwerden ohne Hilfsmittel gehen kann, könne es von ihm nicht erwartet werden, die Ärzte zu Fuß aufzusuchen, und sei in Folge dessen auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Im Sozialhilfesatz sei zwar ein Betrag von 19,20 Euro für den Bereich Verkehr enthalten; die ungewöhnlich hohe Behandlungsfrequenz mache es aber erforderlich, diesen so aufzustocken, dass sich der Kläger von der Summe der Beträge eine Monatsfahrkarte für den öffentlichen Personennahverkehr kaufen kann.

(Quelle: Rechtsdienst der Lebenshilfe 2/2007)

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25.01.2006
LSG Berlin-Brandenburg, Az.: L 23 B 1090/05 SO PKH
Prozesskostenhilfe bei Streitigkeiten um existenzsichernde Leistungen

Für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist es notwendig, dass der/die AntragsstellerIn finanziell bedürftig ist, und dass die betreffende Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Des Weiteren muss der Beistand eines Rechtsanwalts / einer Rechtsanwältin erforderlich sein.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entschied in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil, dass die Erforderlichkeit, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen (unabhängig von der Komplexität des Verhandlungsgegenstands) immer dann bejaht werden muss, wenn in einem Eilverfahren um existenzsichernde Leistungen gestritten wird.

Im konkreten Fall ging es um eine Frau, welche um die Weitergewährung ihres Unterhalts fürchtete: Das Sozialamt hatte ihr einen Einstellungsbescheid der Leistungen nach dem SGB XII zugestellt und sie an das Jobcenter verwiesen; das Jobcenter als Leistungsträger für das Arbeitslosengeld II sah sich wegen fehlender Erwerbsfähigkeit der Frau für nicht zuständig.

Zur Klärung der Frage, wer zukünftig für ihren Lebensunterhalt aufkommen muss, beantragte die Frau mit Hilfe eines Anwalts im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht Prozesskostenhilfe. Dies lehnte das Sozialgericht ab mit der Begründung, es handele sich um einen rechtlich und tatsächlich überschaubaren Sachverhalt, so dass die Antragsstellerin den Rechtsstreit hätte auch alleine führen können.

Dieser Auffassung widersprach das Landessozialgericht und führte aus, dass die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage doch erforderlich war: „Im Sozialhilferecht erscheint es angesichts der Bedeutung der Angelegenheiten für die Betroffenen bedenklich, die Erforderlichkeit einer Beiordnung und damit auch einer Beratung durch einen Rechtskundigen zu verneinen“, so der zentrale Satz des Beschlusses. Ein Maßstab für die Gewährung von Prozesskostenhilfe sei auch, ob ein Beteiligter, der nicht auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, einen Rechtsanwalt hinzuziehen würde.

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10.12.2004
BVerwG in Leipzig, Az. 5 B 47.04
Keine Anrechnung des Kindergelds auf die Grundsicherung

In seinem Beschluss vom 10.12.2004 hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass das Kindergeld grundsätzlich Einkommen des Kindergeldberechtigten, d. h. der Person, an die es ausbezahlt wird, ist und nicht auf den Grundsicherungsanspruch eines volljährigen Kindes angerechnet werden darf. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass das Kindergeld in der Regel in die allgemeine Haushaltskasse fließt und daher nicht nachvollziehbar ist, dass der Betrag bzw. welcher Teil der Zuwendung explizit für das Kind ausgegeben wird. Anders verhält es sich nur, wenn das Kindergeld z. B. durch Überweisung in voller Höhe an das Kind weitergegeben wird.

Seit In-Kraft-Treten des SGB XII am 1.1.2005 gibt es bezüglich dieser Frage keine Interpretationsmöglichkeit mehr: So heißt es in § 82 Abs. 1 SGB XII, dass „bei Minderjährigen … das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen [ist], soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes benötigt wird.“ – und dies heißt im Umkehrschluss, dass dieser Grundsatz nicht für Volljährige gilt, für die Kindergeld bezahlt wird.

Quelle: Rechtsdienst der Lebenshilfe 1/2005

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Text: Martin Seidler, Referent für Öffentlichkeitsarbeit

inhaltliche Betreuung: Justitiar Marcus Lippe