Entscheidungen zu sonstigen Themen, die für behinderte Menschen interessant sind

Zusammenfassungen einiger Urteile und Entscheidungen, die für behinderte Menschen interessant sind

zu sonstigen Themen

 


31.5.2011
LSG Sachsen-Anhalt, Az.: L 8 SO 29/10 B ER
Persönliches Budget nur nach unterschriebener Zielvereinbarung

In zwei Instanzen stellten die Richter fest, dass ein persönliches Budget nur dann bewilligt werden kann, wenn der/die AntragstellerIn zuvor eine Zielvereinbarung unterschrieben hat.

Im konkreten Fall lehnte ein gehörloser Mann die Unterschrift unter eine Zielvereinbarung ab, weil er mit der Höhe des persönlichen Budgets nicht einverstanden war.

(Der Rechtsstreit war unnötig, weil in der Zielvereinbarung nur der Verwendungszweck eines persönlichen Budgets festgeschrieben wird. Die Höhe des persönlichen Budgets wird einzig und allein im Bewilligungsbescheid festgelegt.)

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10.03.2011
LSG Berlin-Brandenburg, Az. L 15 SO 23/09
Übernahme von umzugsbedingten doppelten Mietzahlungen

Entstehen wegen eines notwendigen Umzugs und der Verpflichtung, die vereinbarte Kündigungsfrist einzuhalten, zeitweilig Mietkosten sowohl für die bisherige als auch für die zukünftige Wohnung, so sind diese vom Sozialhilfeträger zu übernehmen.

Voraussetzung hierfür ist, dass es notwendig gewesen ist, dass der Leistungsempfänger die neue Wohnung gerade zu diesem Zeitpunkt gemietet und bezogen hat, und dass er alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, die Aufwendungen für die frühere Wohnung so gering wie möglich zu halten (z. B. Bemühungen um einen Nachmieter).

In dem Fall, der vom Landessozialgericht entschieden wurde, ging es um eine ältere Frau, die nach einer stationären Behandlung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in ihre eigene Wohnung zurückkehren konnte und in ein Pflegeheim aufgenommen wurde. Da der zuständige Sozialhilfeträger sich weigerte, neben den Kosten für das Pflegeheim auch die Mietkosten der Wohnung bis zum Ende der Kündigungsfrist zu übernehmen, kam es zur Klage vor dem Sozialgericht.

Das Sozialgericht wies die Klage ab und zog sich darauf zurück, dass von Seiten des Sozialhilfeträgers keine Notwendigkeit zu einem Umzug bestanden hätte und auch keine Zustimmung zu dem Umzug vorgelegen habe.

Die Berufungsinstanz hob das Urteil des Sozialgerichts auf und verurteilte das Sozialamt zur Erstattung der Mietkosten für die frühere Wohnung abzüglich der mittlerweile erstatteten Kaution.

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22.12.2010
Bayer. LSG, Az.: L 2 P 87/10 B PKH
Gewährung von Prozesskostenhilfe bei Streitigkeiten mit der Pflegekasse

Bei Klageverfahren, die auf Leistungen aus der Pflegeversicherung gerichtet sind, in dem die betroffenen Versicherten unter meist erheblichen Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit und Fähigkeiten leiden und in dem der Rechtsstreit oft von erheblicher Bedeutung für die Finanzierbarkeit von Pflegeleistungen ist, ist die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe regelmäßig als erforderlich anzusehen.

Anlass für den aus dem Beschluss zitierten Leitsatz war ein junger Mann, der einen Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung gestellt hatte. Der mit der Begutachtung des Pflegebedarfs beauftragte Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) stellte lediglich einen Hilfebedarf von 17 Minuten fest. (Für die Zuerkennung von Pflegestufe I ist ein Hilfebedarf von mindestens 45 Minuten erforderlich.)

Das Sozialgeicht hatte den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt: Eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt erscheine nicht erforderlich, da die Streitsache weder tatsächlich noch rechtlich schwierig gelagert sei. Außerdem bestünde keine hinreichende Erfolgsaussicht.

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15.09.2010
BGH in Karlsruhe, Az: XII ZB 166/10
Berücksichtigung des Wunsches der betroffenen Person bei der Betreuerauswahl

Nach § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB ist diejenige Person zum gesetzlichen Betreuer zu bestellen, welche der/die zu Betreuende wünscht. Der Wiille der/des zu Betreuenden kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person den Interessen der/des zu Betreuenden zuwiderläuft.

Mit dieser Entscheidung wird das Vorschlagsrecht des/der Betroffenen gestärkt und der Einfluss des Gerichts bei der Auswahl einer/eines gesetzlichen BetreuerIn darauf beschränkt, ggf. nachzuweisen, dass die Bestellung der vorgeschlagenen Person dem Wohl des/der Volljährigen schaden würde.

Im konkreten Fall ging es um einen Mann mit einem depressiv-antriebsarmen Syndrom, zu dessen gesetzlichen Betreuer ein Rechtsanwalt bestellt worden war. Im Rahmen der Überprüfung der Betreuung äußerte der Mann den Wunsch, dass sein Bruder A. anstelle des Berufsbetreuers die Betreuung übernimmt. Da dieser die Aufgabe ablehnte, wurde vom Amtsgericht beschlossen, dass die Betreuung weiterhin vom Rechtsanwalt übernommen wird. Wenige Wochen später legte der zu Betreuende Beschwerde gegen diese Entscheidung ein und beantragte, seinen anderen Bruder M. als Betreuer zu bestellen. Abgesehen davon, dass die zuständige Behörde die Eignung von M. in Frage stellte, lehnte auch er ab. Daraufhin erklärte sich Bruder A. doch bereit, die Betreuung zu übernehmen.

Das Landgericht wies die Beschwerde, die auf einen Betreuerwechsel abzielt, zurück und begründete dies damit, dass die Voraussetzungen zur Entlassung des bisherigen Betreuers nicht vorliegen.

Der Bundesgerichtshof sah die Beschwerde (jedoch) als zulässig an. Entscheidend für die Richter war dabei, dass sich die Beschwerde nicht – so wie das Landgericht die Angelegenheit behandelte – gegen den vorhandenen Betreuer, sondern gegen einen Teilaspekt der Entscheidung zur Verlängerung der Betreuung richtet.

(Quelle: Urteilstext und Rechtsdienst der Lebenshilfe, 4/2010)

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29.10.2009
SG Karlsruhe, S 1 SO 3118/09
Übernahme der Beiträge für private Kranken- und Pflegeversicherung im Rahmen der Grundsicherung

Erhält eine Person, die privat kranken- und pflegeversichert ist, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, so müssen die Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung des günstigsten Tarifs dieses Versicherungsunternehmens in voller Höhe übernommen werden. Das gilt auch dann, wenn diese höher sind als die Beiträge, die für BezieherInnen von ALG II übernommen werden.

Im konkreten Fall ging es um eine privat kranken- und pflegeversicherte Frau, die Grundsicherungsleistungen bezieht.

Bei der Neuberechnung der Leistungen im Februar 2009 berücksichtigte das zuständige Sozialamt statt der real anfallenden Beiträge nur noch einen Betrag in der Höhe, der für BezieherInnen von Arbeitslosengeld II zu tragen ist und begründete dies mit der Möglichkeit, in einen branchenweit einheitlichen Basistarif zu wechseln.

Die Frau widersprach dem Bescheid des Sozialamts: Ihre Krankenkasse habe eine Reduzierung des Beitragssatzes über die bereits gewährte Halbierung hinaus abgelehnt. Daraufhin änderte das Sozialamt den Bescheid ab und gewährte der Frau wegen ihrer Hilfsbedürftigkeit eine geringfügig höhere Leistung, aber immer noch rund 170 Euro weniger, als die real anfallenden Beiträge. Fünf Monate später wurden wieder die tatsächlichen Beiträge bei der Leistungsbemessung berücksichtigt.

Das Gericht verurteilte den Träger der Grundsicherung, die Differenz zwischen den berücksichtigten und den tatsächlich entrichteten Beiträgen für Kranken- und Pflegeversicherung für die fünf Monate nachzuzahlen.

In der Begründung wird konstatiert, dass die Leistungen zur Grundsicherung auch die Übernahme des Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrags in angemessener Höhe umfassen. Die Beiträge der klagenden Frau werden vom Richter als angemessen eingeschätzt, obwohl sie die Beträge überschreiten, die für BezieherInnen von Arbeitslosengeld II übernommen werden.

Auf dem Hintergrund der seit 1.7.2009 geltenden Krankenversicherungspflicht habe die Frau einerseits keine Möglichkeit, ihre Kranken- und Pflegeversicherungskosten zu senken: So hat die private Krankenversicherung eine noch weitergehende Beitragsreduzierung abgelehnt; abgesehen davon, dass die Klägerin kann als privat Vorversicherte keine Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung verlangen kann, könnte sie durch einen Wechsel des Versicherungsunternehmens wegen fehlender Vorversicherungszeit ebenfalls keine Beitragsreduzierung erreichen.

Andererseits kann der Frau weder zugemutet werden, durch Beitragsrückstände nur noch einen verminderten Versicherungsschutz zu erhalten, noch ist sie verpflichtet, die Differenz zwischen der Höhe ihrer tatsächlichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge und den im Rahmen der Grundsicherung von der Beklagten als Bedarf berücksichtigten Beiträgen aus dem Regelsatz der Grundsicherung zu bezahlen, da Leistungen für einen privaten Versicherungsschutz nicht im Regelsatz enthalten sind und die Zahlung von Versicherungsbeiträgen aus dem Regelsatz das Existenzminimum gefährden würde.

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30.6.2009
BSG in Kassel, Az.: B 1 KR 17/08
Berechnung der Belastungsgrenze für die Zuzahlung zur gesetzlichen Krankenversicherung

Liegen die Zuzahlungen zu Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (für Praxisgebühr, Medikamente, Heil- und Hilfsmittel, …) über 2 % des jährlichen Bruttoeinkommens (bei sog. chronisch Kranken: über 1 % des jährlichen Bruttoeinkommens), so kann der/die Versicherte bei der Krankenkasse eine Befreiung von weiteren Zuzahlungen beantragen.

Die Höhe der Freibeträge, die für die mit im Haushalt lebenden Personen vom Gesamtbruttoeinkommen der Haushaltsangehörigen geltend gemacht, d. h. zur Berechnung der Belastungsgrenze abgezogen werden können, berechnen sich nach der sich jährlich verändernden Bezugsgröße (= Rechengröße im System der gesetzlichen Sozialversicherung) für den/die PartnerIn und Freibeträgen für Kinder.

In einem Grundsatzurteil entschied das Bundessozialgericht, dass bei Alleinerziehenden mit Kindern für das (erste) Kind anstelle des Kinderfreibetrags ein höherer Freibetrag geltend gemacht werden kann: Dieser entspricht dem Freibetrag für den/die PartnerIn und beträgt 15 % der Bezugsgröße.

Bereits am 26.6.2007 entschieden die Richter, dass Kinderfreibeträge auch für diejenigen im Haushalt lebenden Kinder abgezogen werden, die nicht familien(mit)versichert sind.

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30.6.2009
LSG Baden-Württemberg, L 2 SO 2529/09 ER-B
Übernahme der Kosten für private Krankenversicherung

Wird eine privat krankenversicherte Person sozialhilfebedürftig, so müssen die tatsächlichen Kosten für die private Kranken- und Pflegeversicherung im reduzierten Basistarif übernommen werden – und nicht nur der Betrag, der für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung anfallen würde. Damit bestätigte das Landessozialgericht die Entscheidung der ersten Instanz.

Da bei Versicherten im reduzierten Basistarif nur die Kosten zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände übernommen werden, wäre der Grundanspruch der Betroffenen auf eine angemessene medizinische Versorgung jedoch dann nicht mehr erfüllt, wenn sie dauerhaft sozialhilfebedürftig bleiben.

Im konkreten Fall ging es um zwei Personen: Die eine Person konnte wegen ihres frühen Versicherungsbeitritts sowieso (bzw. ohne Einschränkungen) den um die Hälfte reduzierten Basistarif in Anspruch nehmen, die andere Person wurde darauf verwiesen.

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21.01.2009
LSG Berlin-Brandenburg, Az.: L 1 B 506/08 KR ER
Kosten für Immuntherapie-Behandlung

Leidet eine Person unter einer lebensbedrohlichen bzw. zum Tod führenden Erkrankung, für die es keine schulmedizinischen Behandlungsmethoden gibt, so ist die gesetzliche Krankenversicherung verpflichtet, auch ärztlich verantwortete Behandlungen zu bezahlen (im vorliegenden Fall: die Kosten für eine Immuntherapie-Behandlung), bei denen der Nachweis einer dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Qualität und Wirksamkeit der Behandlung noch nicht erbracht ist.

Im zu entscheidenden Fall ging es um eine 37jährige Frau, bei der 2006 ein bösartiger Hirntumor festgestellt wurde. Dieser ist mittlerweile mit den zugelassenen Behandlungsmethoden der gesetzlichen Krankenversicherung kurativ nicht mehr behandelbar. Deshalb lässt sie sich seit einem halben Jahr von einem Arzt behandeln, der für seine Therapie verschiedene Methoden kombiniert, welche jede für sich alleine (und auch kombiniert) keine für die vertragsärztliche Behandlung zugelassenen Methoden sind.

In einem rechtskräftigen Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg entschieden die Richter, dass eine Verweigerung der Kostenübernahme nicht mit der gesetzlichen Krankenversicherungspflicht und der damit verbundene Zusage für eine notwendige Krankheitsbehandlung vereinbar sei.

„Die einzelnen Methoden sind – soweit ersichtlich – alle Gegenstand der (schulmedizinischen) Forschung. Ihre Therapiewirksamkeit ist nach den vorgelegten und eingeführten Unterlagen zwar nicht evident belegt, aber umgekehrt auch nicht ausgeschlossen. Die konkrete Kombination in der Behandlung durch den Arzt für Allgemeinmedizin erscheint nicht unschlüssig und steht in Einklang mit – schulmedizinischen – Konzepten der Tumorbehandlung jenseits der Chemotherapie“, heißt es in dem Beschluss.

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27.11.2007
FG Rheinland-Pfalz, Az.: 2 K 1917/06
Kosten für Wohnraumanpassung können steuerlich geltend gemacht werden

In einem Urteil hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz entschieden, dass die Kosten für die Anpassung der Wohnung an die Bedürfnisse einer behinderten Person unter bestimmten Voraussetzungen als außergewöhnliche Belastung steuerlich geltend gemacht werden können.

Zu der Entscheidung kam es, weil  das zuständige Finanzamt sich weigerte, die Kosten für eine Türverbreiterung und den Einbau einer Duschtrennwand anzuerkennen. Auch die nachgeschobenen Aufwendungen für den Einbau von Rampen wurden nicht als steuermindernd akzeptiert. Begründet wurde dies damit, dass die Einrichtungen nicht ausschließlich von der behinderten Person benutzt werden kann, sondern für alle Bewohner Vorteile bietet, so dass durch den Umbau ein Gegenwert entsteht.

Das Finanzgericht sah jedoch die Umbaumaßnahme zu Gunsten der behinderten Tochter im Vordergrund und konnte keinen Gegenwert der Umgestaltung für die anderen Familienmitglieder erkennen. Obwohl Aufwendungen für Türverbreiterungen grundsätzlich nicht steuerlich geltend gemacht werden können, bilde der vorliegende Fall eine Ausnahme, da es sich um eine nachträgliche Maßnahme (und nicht um einen Neubau) handele.

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11.06.2007
SG Speyer, Az.: S 7 KR 283/06
Kosten für Medikamente der alternativen Medizin

In einem noch nicht rechtskräftigen Urteil hat das Sozialgericht entschieden, dass die gesetzliche Krankenversicherung auch Kosten für Arzneimittel der alternativen Medizin übernehmen muss.

Im konkreten Fall ging es um eine an Brustkrebs erkrankte Frau. Deren Arzt hatte ihr begleitend zu Chemo- und Strahlentherapie ein Mistelpräparat verordnet. Dieses Medikament wird in der anthroposophischen Therapierichtung verwendet und ist apothekenpflichtig, aber nicht verschreibungspflichtig. Da derartige Arzneimittel nur im Ausnahmefall von der Gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden dürfen, lehnte die zuständige Krankenkasse die Kostenübernahme ab.

Das Gericht bezog sich auf Ausnahmeregelungen in den Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 3 SGB V, der vorsieht, dass der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen ist. Es entschied deshalb zu Lasten der Krankenkasse.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache wurde Berufung ausdrücklich zugelassen.

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17.04.2007
SG Dessau, Az.: S 10 SO 126/05
Keine Leistungsüberprüfung bei Zuständigkeitswechsel

Wird eine Leistung „bis auf Weiteres“ gewährt, kann sie nicht alleine deshalb gekürzt oder gestrichen werden, weil die Zuständigkeit gewechselt hat und der „neue“ Leistungsträger festgestellt hat, dass angeblich kein Bedarf besteht. Durch die Änderung der Zuständigkeit entsteht nämlich keine neue Entscheidungsbefugnis.

Im konkreten Fall ging es um Kosten für einen Familienentlastenden Dienst, der einem geistig behinderten Mann „bis auf Weiteres“ gewährt wurde. Nachdem am 1.1.2005 der überörtliche (und nicht mehr der örtliche) Leistungsträger zuständig wurde, stellte dieser die Zahlungen ein. Er begründete dies damit, dass der Bedarf an Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben bereits durch die gewährten Leistungen in der Werkstatt für behinderte Menschen im angemessenen Umfang gedeckt würde.

Die Aufhebung eines so genannten Dauerverwaltungsaktes ist nach Auffassung des Gerichts nur bei einer wesentlichen Veränderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse möglich.

(Quelle: Rechtsdienst der Lebenshilfe 2/2007)

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14.02.2007
OLG Schleswig, Az. II W 18/07
Persönliche Anhörung vor Betreurwechsel

In einem Beschluss des Oberlandesgerichts Schleswig haben die Richter deutlich gemacht, dass das Vormundschaftsgericht einer Person vor Bestellung oder Wechsel eines gesetzlichen Betreuers Gelegenheit geben muss, sich zu der konkreten Person zu äußern, welche die Betreuung übernehmen soll. Angemessene Wünsche des Betroffenen müssen dabei vom Gericht berücksichtigt werden.

Im konkreten Fall ging es um eine Frau, die einen Betreuerwechsel beantragt hatte und darum bat, eine Frau zur neuen Betreuerin auszuwählen. Ungeachtetet dieses Wunsches und ohne weitere Anhörung bestellte das Vormundschaftsgericht einen Mann zum neuen gesetzlichen Betreuer.

(Quelle: Rechtsdienst der Lebenshilfe 4/2007)

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17.01.2007
BVerfG in Karlsruhe, Az.: 2 BvR 1059/03
Keine Pflicht zur Anhebung der Behindertenpauschbeträge

Der Betrag, den Menschen mit einer Behinderung bzw. deren Eltern steuerlich ohne weitere Nachweise absetzen können, ist seit vielen Jahren unverändert. Auf dem Klageweg sollte erreicht werden, dass die je nach Grad der Behinderung verschiedenen Pauschbeträge angehoben und den gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat eine diesbezügliche Verfassungsbeschwerde jedoch abgelehnt. In der Begründung heißt es, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet sei, mit derartigen Pauschbeträgen Ausnahmen vom das Einkommensteuerrecht prägenden Grundsatz des Einzelnachweises zuzulassen. In Folge dessen gibt es auch keine Pflicht, diese zu erhöhen.

(Quelle: Rechtsdienst der Lebenshilfe 2/2007)

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20.12.2005
LSG Nordrhein-Westfalen, Az.: L 16 B 82/05 KR
Rücknahme eines Widerspruchs hindert nicht am erneuten Einlegen eines Widerspruchs

Wurde ein Widerspruch gegen einen Bescheid zurückgenommen, kann gegen den (selben) Bescheid innerhalb der Widerspruchsfrist erneut wirksam vorgegangen werden.

Im konkreten Fall ging es um einen Bescheid der Krankenkasse, mit dem häusliche Krankenpflege abgelehnt wurde. Die Rechtsmittelbelehrung fehlte, so dass sich die Einspruchsfrist auf ein Jahr verlängert. Ein umgehend von der Klägerin eingelegter Widerspruch wurde von ihr wieder zurückgenommen.

Ein halbes Jahr nach Erteilung des Bescheids reichten die Prozessbevollmächtigten die Begründung für den (mittlerweile zurückgenommenen) Widerspruch ein. Nachdem die Krankenkasse erklärte, sie sehe die Angelegenheit wegen der Rücknahme des Widerspruchs als erledigt an, legten die Prozessbevollmächtigten erneut Widerspruch ein. Daraufhin teilte die Krankenkasse mit, dass das Vorverfahren durch Rücknahme des Widerspruchs rechtskräftig abgeschlossen sei.

Dem widersprach das Landessozialgericht: Eine Rücknahme des Widerspruchs ohne weitergehende Erklärung bedeute keinen Verzicht auf das Rechtsmittel. Die Rücknahme eines Widerspruchs bewirkt lediglich, dass der (ursprüngliche) Widerspruch als nicht eingelegt gilt. Er kann also, wenn dies noch fristgerecht möglich ist, – jederzeit – neu eingelegt werden.

(Quelle: Rechtsdienst der Lebenshilfe 1/2006)

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17.03.2005
BSG in Kassel, Az.: B 3 KR 35/04 R
Tägliche Bewegungsübungen können Leistungen der häuslichen Krankenpflege sein

Benötigt eine pflegebedürftige Person zusätzlich zu Krankengymnastik und passiver Mobilisation, wie sie im Rahmen der Grundpflege geleistet wird, weitere Bewegungsübungen, um eine angemessene Krankenbehandlung zu erhalten, muss die Krankenkasse für die entstehenden Kosten im Rahmen der Häuslichen Krankenpflege (HKP) aufkommen. Zwar seien Bewegungsübungen im Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der HKP-Richtlinien nicht erwähnt, aber die dort zu findende Aufzählung sei nicht abschließend.

(Quelle: Rechsdienst der Lebenshilfe 4/2005)

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06.05.2004
OVG Niedersachsen, Az. 4 ME 88/04
Härten der Gesundheitsreform abgemildert

Bekanntlich gibt es seit In-Kraft-Treten des Gesundheitsmodernisierungsgesetz am 1.1.2004 keine generellen Zuzahlungsbefreiungen mehr. Das bedeutet, dass auch SozialhilfeempfängerInnen 2% (chronisch Kranke: 1%) ihres „Jahresbruttoeinkommens“ (monatlicher Regelsatz x 12) für Gesundheitsleistungen verwenden müssen, bis sie für das restliche Kalenderjahr befreit werden. Dies führte zu unzumutbaren Belastungen, da sich diese Personengruppe die rund 71 EUR (35,50 EUR) in den ersten Monaten des Jahres schlimmstenfalls vom Munde absparen musste.

Nun hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht beschlossen, dass die Kosten für die anfallenden Zuzahlungen vom Sozialamt vorgestreckt werden müssen, sodass den LeistungsempfängerInnen lediglich eine maximale monatliche Belastung von 5,92 EUR bzw. 2,96 EUR verbleibt. Der darüber hinaus gehend angefallene Betrag, der als Darlehen gewährt wurde, muss dann in diesen Raten an die Behörde zurückgezahlt werden.

Gleichzeitig stellte das Gericht jedoch fest, dass SozialhilfeempfängerInnen weder einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Zuzahlungen noch auf einen höheren Regelsatz haben.

Der Wuppertaler Arbeitslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles e.V. wertet diesen Beschluss als erfolgreiche Nachbesserung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes.

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18.01.2004
BVG in Karlsruhe, Az.: 1 BvR 2315/04
Schriftliche Diagnose für schwerhörige Menschen

Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18.11.2004 können Schwerhörige von ihrem Arzt eine schriftliche Diagnose verlangen.

Im konkreten Fall hatte eine 88jährige Frau das Gericht angerufen, deren Augenarzt sich geweigert hatte, ihr bzw. ihrem Hausarzt schriftlich zu erläutern, welches Ergebnis die durchgeführte Untersuchung hatte und ob eine weitere Behandlung nötig ist. Die Patientin hatte die mündlichen Erläuterungen des Arztes wegen ihrer Hörschwäche nicht verstanden – ebenso wenig ihre ebenfalls schwerhörige Tochter, die sie in die Praxis begleitet hatte. Trotz wiederholter Nachfragen lehnte der Mediziner eine genauere Auskunft ab.

Wegen des Alters und des Gesundheitszustands war es der Frau nicht zuzumuten, die gleiche Untersuchung nochmals von einem anderen Arzt durchführen zu lassen.

Das Gericht leitete einen Anspruch auf Mitteilung des Untersuchungsergebnisses aus dem zwischen Arzt und Patienten geschlossenen Behandlungsvertrag ab.

Wenn eine mündliche Erläuterung von Untersuchung und Diagnose nicht oder nur erschwert möglich ist, konnte dies deshalb nicht dazu führen, dass der Arzt von seiner Pflicht entbunden ist, die jeweiligen Patienten über die Diagnose in Kenntnis zu setzen. Vielmehr gehört es in diesen Fällen zu den vertraglich geschuldeten Pflichten eines Arztes, die Ergebnisse der Untersuchung der Beschwerdeführerin schriftlich zugänglich zu machen.

Das Selbstbestimmungsrecht und die personale Würde des Patienten verbieten es, ihm im Rahmen der Behandlung die Rolle eines bloßen Objekts zuzuweisen.

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19.05.2004
OVG Rheinland-Pfalz, Az.: 1 U 7/02
Anspruch auf Tagegeld in einer Reha-Klinik

Eine Ausschlussklausel besagt, dass in Sanatorien, Erholungsheimen und Kurkliniken – anders als im Krankenhaus – kein Anspruch auf Krankenhaustagegeld besteht.

Da seine private Unfallversicherung einem Mann, der im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt in einer Reha-Klinik weiterbehandelt wurde, die Weiterzahlung des Krankenhaustagegeldes verweigert wurde, klagte er.

Das rheinland-pfälzische Oberlandesgericht gab ihm Recht und verurteilte die Unfallversicherung zur Zahlung: Reha-Kliniken seien schon begrifflich eine eigenständige Art von Einrichtungen zur Behandlung von Kranken und fielen daher nicht unter die Ausschlussklausel.

(Quelle: CAREkonkret, 26.11.2004)

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Text: Martin Seidler, Referent für Öffentlichkeitsarbeit

inhaltliche Betreuung: Justitiar Marcus Lippe